Interview
mit Sara
Wurdest Du in eine scientologische Familie hineingeboren?
- Wenn nicht:
Hattest Du noch Erinnerungen an Dein Leben vorher – gute oder
schlechte? Hast
Du etwas vermisst? Ich bin
nicht in Scientology geboren. Ich war sechs Jahre alt, als
meine Eltern
in die Sea Org eintraten. Meine Erinnerungen
ans Leben vor Scientology
waren
gemischt – gute und schlechte. Meine
frühesten Erinnerungen habe ich, als ich fünf
Jahre alt war und meine Eltern sich trennten, weil mein Vater
Scientology Kurse
machte und seinen Job als Professor kündigte. Sie trennten sich, weil
mein Dad
wollte, dass meine Mom Scientology Kurse machte. Meine Mutter hatte
einen
Nervenzusammenbruch, und mein Vater sandte meine Mutter und uns Kinder
von Los
Angeles nach Wisconsin zu meiner Grossmutter mütterlicherseits, während
er in
Los Angeles blieb und sich immer mehr bei Scientology engagierte. An
das Leben
in Wisconsin habe ich sehr viele glückliche Erinnerungen. Nach einen
Jahr kamen
meine Mutter und mein Vater wieder zusammen und wir kehrten nach Los
Angeles
zurück, wo wir dann in die Sea Org eintraten.
Ich erinnere mich an eine Szene, als ich acht oder neue war und mit einem Freund ein Brettspiel spielte: Eine Frau schrie uns an, weil wir das Spiel spielten obwohl wir arbeiten sollten. Es war dort alles sehr schmutzig und heruntergekommen. Es gab überall Schaben und die Kinder bekamen oft Läuse. Kleine Kinder liess man oft unbeaufsichtigt. Die Eltern von einigen unserer Freunde kauften ihren Kindern neue Kleidung, weil sie Geld hatten. Meine Eltern gingen mit uns immer zum Second Hand Shop zum Einkaufen. Als ich dann 11 oder 12 war, trat ich der Commodores Messenger Organisation (CMO) bei und arbeitete nach Vollzeitplan, d.h. von 9.00 bis 23.00, sieben Tage die Woche. Wir sollten alle zwei Wochen einen Tag frei bekommen, doch normalerweise bekamen wir diesen Tag nicht frei. Wir verdienten etwa 10-15 $ in der Woche. Mein
hauptsächlicher Kontakt zur Aussenwelt war, dass ich in eine
öffentliche
Schule ging. Ich hatte Kontakt zu meinen Lehrern und ein paar Kindern,
obwohl
die Sea Org Kinder in der Schule eher unter sich blieben. Als ich
ungefähr 12
Jahre alt war (ich war in der 6. Klasse), änderte die Sea Org die
Richtlinie
bezüglich des Schulbesuchs von Sea Org Kindern in öffentlichen Schulen.
Alle
Kinder mussten nun in eine Sea Org „Schule“
gehen; das war einfach ein
Raum, in
dem ein Erwachsener auf uns aufpasste, während wir uns durch
Checklisten
durcharbeiteten. Es war eigentlich keine wirkliche Schule und wir
lernten dort
auch nichts.
Nachdem ich die öffentliche Schule verlassen hatte, war mein Kontakt zur Aussenwelt praktisch vorbei. In der Sea Org nahm man die Aussenwelt als einen chaotischen, hoffnungslosen Ort wahr, dem wir zu helfen versuchten, indem wir den Planet „klärten“. Sea Org Mitarbeiter lasen selten die Zeitung oder schauten sich die Nachrichten an. Es gab immer Events und Mitarbeiter-Treffen, an denen sie ihre Lügen und ihre Propaganda verbreiteten. Ungefähr 1979 verbannten sie Fernseher, indem sie behauteten, dass die Abtrahlungen der Geräte gefährlich wären. Ich erinnere mich, dass mir viele Sea Org Mitglieder erzählten, dass sie am College waren, doch machten sie es immer runter. Sie sagten dann z. B. dass sie damals Drogen genommen hatten, und an vielen missverstandenen Wörtern vorbeigegangen wären. Bei ihnen klang das so, als ob das College eine Zeitverschwendung wäre.
Nein,
meine Eltern hatten nicht genug Zeit für mich. Sie arbeiteten
fast immer.
Ich sah sie nicht sehr oft, ausser in der Zeit (das dauerte ungefähr
zwei
Jahre), als die Sea Org “Familienzeit” einführte; das war dann eine
Stunde am
Tag, die die Eltern mit ihren Kindern gemeinsam verbrachten. Einmal
unternahmen
wir sogar zwei oder drei Tage lang zusammen eine Ausflug zum Yosemite
Nationalpark. Als ich 10 war, verliess meine Familie die Sea Org für
ungefähr 8
Monate, um eine Familiensituation zu handhaben. Meine Grossmutter hatte
Scientology-Auditing erhalten
und drohte zu klagen, als man ihr das
Geld nicht
mehr zurückgeben wollte. Mein Vater arbeitete und sparte Geld, damit
wir uns
einen eigenen Bus leisten konnten; dann fuhren wir nach Wisconsin, um
meine
Grossmutter zu besuchen. Diese 8 Monate, als wir nicht in der Sea Org
waren,
waren wir wie eine Familie, doch gab es viel Stress, da wir von der
Sozialhilfe
lebten und in einer Dachgeschosswohnung lebten, weil wir ja kein Geld
hatten.
Als mein Vater meine Grossmutter schliesslich überzeugte, eine
Erklärung
zu
unterschreiben, dass sie nicht klagen würde, kehrten wir in die Sea Org
zurück.
Mein Vater
war sehr streng und schrie meine Mutter
und uns an. Wir fürchteten uns vor ihm und redeten nicht sehr viel mit
ihm. Ich
hatte das Gefühl, dass meine Supervisoren in der CMO (Commodores
Messenger
Organisation) eher wie Eltern und Bezugspersonen zu mir waren als
meine
richtigen Eltern. Ich fühlte mich nicht richtig vernachlässigt, ich
kannte
einfach nichts anderes. Wenn ich jetzt zurückschaue auf meine Kindheit,
kann
ich mir nicht vorstellen, dass ich meine eigenen Kinder so behandeln
würde wie
ich in der Sea Org behandelt wurde. Es war ein widerwärtiger
Kindsmissbrauch, doch meine Eltern waren so
gehirngewaschen, dass sie dachten, dass das Klären des Planeten
wichtiger
war als
alles andere.
Ja, ich
war darauf vorbereitet, mein ganzes Leben (und die nächste
Milliarde
Jahre) in der Sea Org zu verbringen. Ich dachte, dass wenn wir den
Planeten
nicht klärten, würden die Wogs (verächtlicher Begriff für
Nicht-Scientologen)
den dritten Weltkrieg beginnen und wir würden alle sterben. Ich dachte
wirklich, dass ich eine sehr schwere Verantwortung auf meinen Schultern
trug um
den Planeten zu retten. Ich war umgeben von Leuten, die L. Ron Hubbard
ununterbrochen anpriesen und von unglaublichen „Gewinnen“ erzählten,
die sie
von seinen Kursen und dem Auditing hatten. Überall im ganzen Gebäude
gab es
Bilder von ihm. Wir studierten seine Schriften und „wortklärten“ sie;
das
bedeutete, dass wir seine Richtlinien wieder und wieder lesen mussten
bis zu
dem Punkt, dass wenn uns jemand die Definition eines beliebigen Wortes
in einer
Richtlinie fragte, wir jede mögliche Definition wissen mussten,
andernfalls
müssten wir das Wort nachschauen und das „Wortklären“ wieder von vorne
beginnen.
Als ich
nach CMO Int, dem geheimen Scientology Hauptquartier in Hemet,
Kalifornien, geschickt wurde, war ich überrascht zu sehen, dass die
Leute, die
im oberen Management arbeiteten, nicht sehr professionell aussahen. Sie
trugen
keine Uniformen wie das Management in Los Angeles. Je länger ich in Int
war,
desto mehr Dinge beobachtete ich, die keinen Sinn machten. Ich sah,
dass David
Miscavige sich wie ein Tyrann verhielt. Ich arbeitete für Vicky Aznaran
als
ihre „Sekretärin“. Sie sagte mir, ich solle ihre Post lesen und alles
„Entheta“
(Negatives über Scientology) aus ihrem Fach entfernen. Ich war
zu der
Zeit 15 und hatte absolut keine Ahnung, wie ich Entheta von einer
berechtigten
Beschwerde unterscheiden sollte.
Ich war in
Int, als das Laufprogramm anfing; ich
dachte mir, dass das eher wie eine Bestrafung als wie ein
scientologischer
Prozess aussah. Ich sah Dokumente, die von Tonbandaufzeichnungen
Hubbards transkribiert
worden waren. Eines davon war eine Anordnung, jemanden in den See in
Hemet zu
werfen. Ich war geschockt, als ich das las, ich wusste nicht dass sie
Leute in
den See warfen, ich wusste nicht einmal, dass es auf dem Anwesen
überhaupt
einen See gab. Ein anderes Mal bereitete jemand ein spezielles Dessert
für L.
Ron Hubbard zu und man schickte es ihm. Ich sah die Transkription
seiner Kritik
des Desserts und fand seine Worte sehr undankbar. Da
ich im geheimen internationalen Hauptquartier von Scientology gewesen
war,
hatte ich keine Ehrfurcht mehr vor Int. Meine Zweifel stiegen, nachdem
ich von
Int in das RPF (scientologisches
Straflager) in Los Angeles
geschickt
und auf das Laufprogramm gesetzt wurde. Ich war über 200 Tage auf
diesem
Programm, als ich 16 Jahre alt war. Wir rannten 12 Stunden (!) um einen
Pfahl
herum. Mir wurde klar, dass ich mich durch das Programm hätte
durchschwindeln
können, doch dachte ich, wenn Hubbard wirklich der “Gott” war, den
jeder aus
ihm machte, müsste auch das Laufprogramm etwas bringen, doch es brachte
mir gar
nichts. Schliesslich holten sie mich vom Laufprogramm runter und
steckten mich
wieder ins reguläre RPF. Mein Bruder, der die Sea Org schon verlassen
hatte,
kamm mich dann einmal besuchen – und er gab mir den Mut zu gehen, indem
er auf
die offensichtlichen Lügen und Missbräuche der Sea Org Mitglieder
hinwies.
Nein. Ich
stand meinen Eltern emotional gesehen nicht sehr nahe. Ich
hatte das
Gefühl, dass meine Gefährten in der Sea Org eher meine Familie waren
als meine
richtige Familie. Wir hatten „Familienzeit“ und dann verbrachten die
Eltern
eine Stunde pro Tag mit ihren Kindern. Ich ging dann ins Zimmer meiner
Eltern
und schaute fern (das war bevor sie das Fernsehen verboten).
Normalerweise
lagen meine Mom und mein Dad dann einfach auf ihren Betten und hielten
ein
Nickerchen. Ich erinnere mich, als ich 13 war, hielt ich meine Eltern
für
„degradierte Wesen“ und das einzige (so dachte ich), was sie mir je
Gutes getan
hatten, war, mich zu Scientology zu bringen.
Als ich
auf dem Laufprogramm und im RPF war, war mein Leben furchtbar.
Zudem
hatte ich einen älteren Bruder und zwei Schwestern, die die Sea Org
schon
verlassen hatten; das bestärkte mich darin, dass es möglich war,
ausserhalb der
Sea Org zu überleben. Ich musste die Verbindung zu meinen Eltern und
einer
Schwester, die immer noch in der Sea Org war, nicht abbrechen. Ich ging
dann an
den Wochenenden zur Org und besuchte sie. Die meisten meiner engsten
Freunde
hatten die Sea Org schon vor mir verlassen, doch ich hatte keine
Adressen oder
Telefonnummern um sie zu kontaktieren.
Ich habe
mich keinem anderen Glaubenssystem angeschlossen. Das ist
etwas, das
mir in der Vergangenheit sehr viel Unbehagen ausgelöst hat, doch jetzt
ist es
mir ziemlich egal. Ich würde lieber an gar nichts glauben, als etwas
nur
aufgrund eines Glaubens zu akzeptieren. Ich bin zu zynisch um etwas
einfach so
zu glauben. Ich denke, ich bin ein Humanist/Agnostiker/Atheist. Meine
Eltern
waren Katholiken, bevor sie zu Scientology kamen, und mein Mann ist
auch
Katholik, doch nimmt er das nicht sehr ernst.
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