Kendra Wiseman
Kendra wuchs in Los Angeles
auf, ging in die Delphi
Academy in Los
Angeles zur Schule und war
ein Jahr lang Mitarbeiterin bei CCHR.
Sie
wurde
in
eine
Scientology-Familie
hineingeboren und deshalb trennten sich im Jahr
2005 ihre Eltern und der Grossteil ihrer Familie von ihr
( "Disconnection")
nachdem
sie
sich
geweigert
hatte,
ihre
Gespräche
mit Gegnern von Scientology im Internet zu beenden. Kendra hat ihren
ersten Computer "Zot" genannt und blieb stur dabei, bis sie 15 wurde.
Sie spielt Magic: The Gathering und pflegt aktiv ihre ungesunde
Besessenheit mit Flash Rollenspielen. Zur Zeit lebt sie in Beijing,
China und arbeitet dort als Autorin und Designerin. Ihre Artikel
erschienen im San
Diego
Reader, in den Sacramento
News
&
Review,
sowie in anderen nationalen und internationalen Zeitungen und
Zeitschriften.
Teil 1
Mein Name ist Kendra
Wiseman.
Wenn ihr regelmässig die Clambake Foren gelesen habt, ARS oder die
Ex-Scientology-Foren so um 2005 herum, kennt ihr mich vielleicht unter
dem Namen "Emma" (nicht die Emma von den exscn Foren), "Emma Goldman"
oder "Sarah NW". Ich habe sehr lange über meine
Scientology-Erfahrung geschwiegen und ich habe verdammt nochmal genug
davon. Gestern war mein letzter Tag des Schweigens. Ab heute bin ich
eine laute Kritikerin der Scientology.
Vor Kurzem habe ich mich dank der Handlungen von Anonymous, einer
Gruppe von Internet-Aktivisten und der öffentlichen
Äusserungen von Jenna Miscavige-Hill entschieden, an die
Öffentlichkeit zu gehen. Ich würde mich gerne persönlich
bei allen Mitgliedern von Anonymous dafür bedanken, dass sie uns
Gehör verschaffen und es mir ermöglichen, mich sicher zu
fühlen, während ich spreche und dafür, mich dazu
inspiriert zu haben, meine Geschichte zu erzählen. Vielen Dank
auch an Astra
Woodcraft und Jenna
Miscavige-Hill, mit denen ich
hoffentlich eines Tages Kaffee trinken gehen werde. Ihr seid beide zu
meiner Hochzeit eingeladen.
Dadurch, dass ich hervortrete und auf diese Weise offen rede,
verschliesse ich sehr wahrscheinlich de facto die Tür zu jeder
Chance, die ich vielleicht noch hatte, jemals wieder mit meinen Eltern
zu reden. Ohne Frage werde ich offiziell zu einer
"unterdrückerischen Person" erklärt werden. Vielleicht werde
ich verfolgt und belästigt werden. Man wird sich vielleicht
über mich lustig machen. Aber ich habe inzwischen keine Angst mehr
davor. Ich hoffe, meine Eltern wissen, dass ich sie noch immer liebe,
dass ich stolz auf sie bin, und ich hoffe auch, eines Tages die Chance
zu bekommen, wieder mit ihnen zu reden, sie wieder kennen zu lernen.
Ich vermisse euch, Leute. So, los gehts...
Mein Vater ist der Präsident der "Citizens Commission on Human
Rights, US", mein Onkel ist der Präsident von "Narconon
International" und meine Mutter ist Präsidentin der "Earth
Organization". Mit Ausnahme der "Earth Organization", die eine
aufrichtige, unabhängige und wohlmeinende Umweltaktivisten-Gruppe
ist, die von Scientologen geführt wird, gehören diese Gruppen
Scientology und werden von Scientology finanziert. Ihr könnt all
diese Informationen durch Google bestätigen, wenn euch danach ist.
Am heutigen Tag, dem 8. Februar 2008, bin ich 24 Jahre alt und habe die
letzten 2½ Jahre kein Mitglied meiner unmittelbaren Familie
gesehen oder von einem gehört. Abgesehen davon lebe ich zur Zeit
in China, wo ich einen wundervollen Job habe, ein stabiles Zuhause und
einen Verlobten, dessen Hintern definitiv kneifenswert ist.
Während ich hier sitze, toben draussen die chinesischen
Neujahrsfeierlichkeiten. Der Himmel explodiert förmlich vor
Feuerwerkskörpern, es gibt Vanillekuchen und Cheddarkäse im
Kühlschrank. Ein gutes Leben.
Leider war das Leben nicht immer so perfekt. Es war vor allem im
Juli/August 2005 nicht so perfekt, als meine Familie sich dazu
entschied, Scientologys Disconnection-Richtlinie umzusetzen und alle
Verbindungen zu mir zu durchtrennen, was mich in China ohne Heimat,
ohne nahe Verwandte und ohne ein nennenswertes Sicherheitsnetz
zurückliess.
Ich wuchs in einem wohlhabenden Scientology-Haushalt auf, mit netten,
liebenden Eltern, die nie etwas zu wünschen übrig liessen.
Meine Eltern sind keine Mitglieder der Sea
Organization und so hatte
ich mehr Vorteile, Privilegien und Möglichkeiten als diejenigen
Kindern, die in der Sea Org aufwachsen. Ich war ein ziemlich normales,
glückliches Kind, das sich innerhalb von drei Jahren von einem
möglichen Star für Scientology hin zu einer Abtrünnigen
von Scientology entwickelt hat. Ich habe für CCHR gearbeitet, bin
von zuhause weggerannt, ich wurde bis zum Umfallen
Sicherheitsprüfungen unterzogen und wurde im Internet
belästigt, ich wurde emotional erpresst und das schlimmste von
allem: Ich wurde dazu gebracht, mich dafür schuldig zu
fühlen, ich selbst zu sein.
Ich werde, um mich möglichst kurz zu fassen, grosse Teile meiner
Geschichte auslassen, aber dieser Text wird absolut nicht kurz werden,
also bitte habt Geduld mit mir, falls ihr es ertragt und falls nicht,
flieht zur nächsten Beratungsstelle.
Als junges Kind, bis ich so ungefähr 14 Jahre alt war, dachte ich,
Scientology wäre einfach nur grossartig. Ich bin nicht sicher, ob
"denken" das richtige Wort in diesem Zusammenhang ist. Ich nahm einfach
an, dass es toll wäre. Ich wusste das, weil alle es sagten. Ich
würde ja gerne sagen, dass ich, sobald ich alt genug war, um
kritisch die Moral von Scientology zu beurteilen, entdeckt hätte,
dass Scientology ein reiner Betrug ist. Aber das wäre einfach
nicht wahr. Das Hinterfragen fängt auf einer sehr viel niedrigeren
Stufe an. Bei diesen winzigen, nagenden Zweifeln, die man leicht
wegerklären kann. Zum Beispiel war ich bei diesen
dreistündigen Scientology-Veranstaltungen im Shrine Auditorium,
die achtmal im Jahr stattfinden, und während die 3000 Leute um
mich herum vor Begeisterung glasige Augen hatten, war es mir einfach
unangenehm, alle drei Minuten aufstehen und wie wild klatschen zu
müssen. Im Hinterkopf tauchte die Frage auf, ob meine Mutter
wirklich über all diese Geisteskräfte verfügte, die alle
OTs hätten haben sollen, um die
Materie zu kontrollieren, da ich
nie gesehen hatte, wie sie sie einsetzte. Ich dachte über die
Tatsache nach, dass ich niemals wirklich ausserhalb meines Körpers
gewesen war, obwohl ich mich manchmal leicht im Kopf gefühlt
hatte, und ich fragte mich, ob das das gleiche war. Ich dachte auch
über die Tatsache nach, dass es hochrangige Scientologen gab, die
Andere sehr schlecht behandelten, und ich fragte mich, warum es jemand
auf dieser hohen Stufe nötig haben sollte, zu brüllen und zu
schreien, um sich durchsetzen. Ich dachte über diese Dinge nach,
aber nur so nebenbei.
Doch diese Dinge waren alles, was ich kannte, und ich kam schnell in
Scientology voran. Zu dieser Zeit war ich die jüngste Person, der
jemals Zugang zur "Freewinds",
Scientologys Kreuzfahrtsschiff,
gewährt worden war. Dort feierte ich meinen siebten Geburtstag.
Ich war unter den Jüngsten, die die KTL/LOC-Kurse
absolvierten.
Mit Neun war ich damit fertig. Jahrelang lächelte mir die
Registrarin von AOLA
zu, sobald ich in die Org kam. Denn als ich sieben
war, hatte ich all meine drei Dollar, alles Geld, das ich in der Welt
besass, der IAS
gespendet. Die Registrarin fand das so süss, dass
sie mich ins Büro des Registrars brachte und mir eine Quittung
ausdruckte.
Das erste Mal fasste ich mit 15 den Entschluss, Scientology zu
verlassen. Manche Menschen nannten das Pubertät, ich nannte es
lieber "gerechtfertigte Empörung". Die Wahrheit war: Ich hatte
grosse Schwierigkeiten, den "prometering course" im Celebrity
Center
International abzulegen, und das zog meine Laune wirklich runter. Was
eigentlich ein zweimonatiger Kurs bis zu den Sommerferien hätte
sein sollen, wurde zu einem achtmonatigen emotionalen
Belagerungszustand mit ungewissem Ausgang. Durch den Kurs an sich war
ich sehr schnell gekommen, aber ich schien die letzte Stufe einfach
nicht überwinden zu können. Zuvor war ich immer eine
vorbildliche Scientology-Schülerin gewesen, aber jetzt schienen
Kurse häufig damit zu enden, dass ich im Badezimmer weinte,
während diverse unzufriedene Sea Org Mitglieder laut an die
Tür klopften, forderten, auf mich einredeten und mir drohten, bis
ich rauskam.
Ich werde nicht übermässig darauf eingehen, aber es gibt
nichts, was die Seele mehr zerstört, als immer wieder all seine
Energie in eine Sache reinzustecken und dann gesagt zu bekommen, es sei
nicht genug. Glücklicherweise liefert uns Scientology eine
bündige Liste mit Gründen, warum jemand eine Trainingseinheit
nicht abschliessen kann:
- sie begehen Overts
(Sünden) in der Jetzt-Zeit und das behindert
ihren Fortschritt
- sie haben bestimmte Worte in den Materialien nicht verstanden
- sie haben nicht genug geübt
Diese drei Erklärungen mögen oberflächlich betrachtet
ziemlich harmlos und irgendwie logisch erscheinen, aber die Wirkung,
die sie auf einen Menschen haben, kann ziemlich hinterhältig sein.
Angenommen, du willst ein Frisbee aus Blei werfen. Du schleuderst das
Frisbee so stark du nur kannst, doch nach einigen Metern fällt es
einfach runter. Dein Trainer verlangt von dir, mehr zu trainieren, und
das machst du auch, aber das Frisbee fliegt immer noch nicht. Dann
erzählt dein Trainer dir, dass du offensichtlich nicht verstehst,
wie das Frisbee funktioniert, sonst hättest du das Problem nicht.
Du lernst mehr über Frisbees und du probierst es erneut, aber ohne
Erfolg. Jetzt nimmt der Trainer an, dass du die Frisbee offenbar
absichtlich beschädigt haben musst. Du bist jetzt ein
Frisbee-Krimineller und – bei Gott – er wird sicherstellen, dass du der
Justiz übergeben wirst – zu deinem eigenen Wohl und zum Wohle des
Frisbee. Die ganze Zeit erzählt man dir, dass das Frisbee an sich
fehlerlos ist. Lang lebe das Frisbee!
Kehren wir von diesen schrecklichen Vergleichen zurück: es ist
eines der grundlegendsten Prinzipien von Scientology, dass die "Tech",
wie
Hubbards
Lehre
genannt
wird,
funktioniert,
wenn sie nur korrekt
angewandt wird. Es handelt sich hierbei um die fundamentale Annahme,
auf deren Grundlage ein Scientologe konstruiert wird. Die Tech ist
fehlerfrei, nur wir sind fehlerhaft. Lang lebe die Tech. Ist diese
Grundlage erst einmal vorhanden, so kann man die Last der Verantwortung
überall hin verschieben, ausser dorthin, wo sie hingehört.
Jede abweichende Meinung oder jeder Zweifel bezüglich der
Wirksamkeit von Scientology werden zu einem Fehler des Schülers.
Nachdem ich acht Monate mit Üben verbracht hatte, immer wieder
bestraft worden war und bereits Erlerntes endlos wiederholt hatte, war
ich kurz davor, zu explodieren. Die allgemeine Meinung unter den
Kursaufsehern war, dass ich entweder eine Idiotin, eine Kriminelle oder
eine Versagerin war. Der Hauptaufseher sprach fast überhaupt nicht
mit mir. Ich hatte wochenlang beim Ethik-Offizer Geständnisse
abgeliefert. Ich fühlte mich in meinem Freundeskreis unsicher
wegen der von Scientology streng durchgesetzte Richtlinie, über
die Aktivitäten von Freunden Bericht zu erstatten. Und wenn ich
irgendwann in meinem Leben noch mal ein E-Meter sehen würde,
wäre das noch zu früh.
Tagsüber besuchte ich ausserdem die Delphi Academy in Los Angeles,
eine weiterführende Scientology-Schule, und aufgrund meiner
allgemeinen Unzufriedenheit mit Scientology fing ich an, Bücher
über andere Religionen zu lesen. Scientology hatte mich bereits
davon überzeugt, dass das Christentum
ein
Implantat war, das von
intergalaktischen Psychiatern erzeugt worden war, und schliesslich
weiss ja jeder, dass alles, was intergalaktische Psychiater erschaffen
haben, nicht mal in zehn Kilometer Nähe gelassen werden sollte.
Also fing ich mit Buddhismus, Daoismus, Kabbalah und schliesslich mit
Wicca an. Eine ganze Religion für "Herr der Ringe"-Fans! Ich war
begeistert.
Die Fakultät der Delphi-Akademie war ebenfalls begeistert
über meine neuen Bücher. Das heisst natürlich, dass ich
zur Ethik
geschickt wurde. Tatsächlich hatten sie so ein grosses
Interesse an meinen neuen Büchern, dass sie im Laufe der
nächsten Monate eine beträchtliche Zeit damit verbrachten,
sich mit ihnen zu befassen. Einmal bekamen die Eltern eines der anderen
Kinder mit, dass ich etwas über Wicca las, und erteilte die
Anweisung, dass kein Kind auf dem Campus mit mir sprechen oder mit mir
Zeit verbringen sollte, bis ich wieder zu Sinnen kommen würde. Nur
so der Vollständigkeit halber: die Delphi-Akademie stellt sich
nach aussen hin als eine nichtkonfessionelle Schule dar. Aus
Gründen der Fairness muss ich anmerken, dass sowohl mein Lehrer,
Mike B., als auch der Ethik-Offizier bei Delphi LA die ganze
Angelegenheit zu dieser Zeit sehr, sehr locker gesehen haben.
Entsprechend der Reaktion der Akademie stürzte sich auch der Stab
des Celebrity Centers sofort auf den offensichtlichen "withhold"
(das
Verbergen einer schlechten Tat), nachdem sie herausgefunden hatten,
dass ich nachts in meinem Raum sass und auf eine Kerze starrte, und
sahen darin eine Erklärung dafür, dass ich meine "Drills"
nicht bestand. Ich war mit "anderen Praktiken" beschäftigt,
während ich Kurse besuchte. Im Rückblick erscheint es
komplett lächerlich, dass mein Interesse an
Räucherstäbchen und schlechter Dichtung (ich möchte
damit keine echten Wicca-Anhänger beleidigen, ich war bloss keine
sehr gute) die Ursache dafür gewesen sein soll, dass ich meine E-Meter-Drills
nicht bestand, doch zu dieser Zeit hatten sie mich
beinahe vollständig davon überzeugt, dass ich es wirklich
dadurch vermasselt hatte, dass ich etwas anderes ausprobiert hatte.
Teil 2
Trotzdem war ich verwirrt. Ich
wusste, dass ich meine Räucherstäbchen viel lieber mochte als
diesen Kursraum. Meine Räucherstäbchen schrieben niemals rosa
Zettel. Hatte nicht auch Ron über andere Religionen geforscht?
Würde er nicht wollen, dass wir dasselbe tun?
Ich hätte darüber zusammen mit meiner besten Freundin lachen
können, doch meine beste Freundin nahm eine lange Auszeit in der
reizenden Mace Kingsley Ranch-Schule und genoss eine entzückende
Mischung aus harter Arbeit, Scientology-Indoktrinierungssitzungen und
sozialer Isolation. Da sie so damit beschäftigt war, Zaunpfosten
im Schnee zu schrubben, war sie leider für keinen Kommentar
erreichbar.
Ich hätte die Sache ja mit meinen Eltern diskutiert, aber die
waren in Flag
für ihren Sechs-Monats-Check und das
ironischerweise schon seit sechs Monaten.
Nochmal: Man könnte noch mehr dazu sagen, aber die genannten Dinge
waren der Hauptantrieb für mich, Scientology zu verlassen. Ich
verkündete, dass ich nicht länger Scientologin sei. Einige
Tage später fing mein Privattelefon an, ständig zu klingeln.
Es waren Eltern von Freunden, die mir sagten, dass sie mich nicht mehr
in ihrem Haus sehen wollten, dass ich keine Zeit mehr mit ihren Kindern
verbringen dürfte und dass sich daran nichts ändern
würde, bis ich wieder ein gutes Verhältnis zur Church
hätte. Sie sagten mir, ich sei kriminell. Sie sagten mir, ich
würde meine Chance auf die Ewigkeit verlieren. Sie erzählten
mir, dass ich nur rumjammern würde.
In dieser Nacht war niemand zu Hause. Ich weinte stundenlang und das
Telefon klingelte und klingelte.
Auf Wunsch meiner Eltern begannen Sea Org Mitglieder, zu uns nach Hause
zu kommen. Sie warteten mit meinen Eltern im Wohnzimmer solange, bis
ich bereit war, mit ihnen zu sprechen. Sie versammelten sich in kleinen
Gruppen um den Kaffeetisch und diskutierten meinen Fall, während
ich als Argument in meinem abgeschlossenen Zimmer bei voller
Lautstärke "Rage Against the Machine" hörte. Sie kamen
tagein, tagaus. Meine Eltern, die wirklich glaubten, dass ich im
Begriff war, meine einzige Aussicht aufs ewige Leben zu verlieren,
indem ich die Church verliess, flehten mich an, mit ihnen zu reden.
Jeder, den ich kannte, liebte und respektierte bestand darauf, dass,
wenn ich wirklich Scientology verlassen wollen würde, könnte
ich es tun, kein Problem. Ich brauchte nur einen Sicherheitscheck
(das
ist so ähnlich wie ein Geständnis mit E-Meter) und ausserdem
noch eine Reihe von weiteren mickrigen Prozessen. Da die
Scientology-Doktrin uns sagt, dass der einzige Grund, dass jemals
jemand gehen wollen würde, darin liegt, dass man etwas falsch
gemacht hat oder verborgene Verbrechen vorliegen, bestanden die Sea Org
Mitglieder darauf, dass ich diese Geständnissitzung machen sollte.
Solange dabei nur herauskäme, dass ich keine Verbrechen gegen die
Church begangen hätte, wäre ich frei zu gehen. Es wurde mir
zugesagt, dass es nicht länger als einen Monat dauern würde.
Also ging ich jeden Tag für einige Stunden nach Schulschluss zum
Celebrity Center, in den Keller hinter der Küche, dort wo die
Ethik-Abteilung sitzt. Ich setzte mich zusammen mit meinem Auditor ans
E-Meter und sie stellte mir solche herausfordernden, intellektuell
stimulierenden Fragen, wie: "Hast Du jemals einen Planeten in die Luft
gejagt?" "Hattest Du jemals irgendwelche unfreundlichen Gedanken
über L. Ron Hubbard?" Und: "Wieviele psychedelische Einhörner
braucht man, um eine Glühbirne zu wechseln?"
Acht Monate später war der Sicherheits-Check noch immer nicht
vorbei und es war kein Ende in Sicht. Schliesslich dämmerte es
mir, dass das EP
oder "End-Phänomen" der
Sicherheitsüberprüfung darin bestehen würde, dass ich
sagen würde: "Ich will Scientology nicht mehr verlassen." Ich
sagte meinem Auditor, dass ich das herausgefunden hatte und es schlicht
nicht passieren würde. Wie durch ein Wunder hörte die
Sicherheitsüberprüfung auf.
Zu dieser Zeit dachte ich, ich hätte einen grossen Sieg errungen,
da die Sicherheitsüberprüfung abgesagt wurden. Ich dachte,
ich hätte es wirklich geschafft, wäre auf der anderen Seite
und hätte Scientology wirklich hinter mir gelassen. Das war eine
ziemlich dumme Annahme, denn ich hatte bereits mit meiner Arbeit
für die "Citizens Commission on Human Rights" (CCHR) begonnen.
Versteht ihr, ich war keine Scientologin, soviel war mir klar. Aber,
weil meine Familie war wie sie war, wurde ich mit dem Konzept, nein,
mit der Gewissheit grossgezogen, dass Psychiatrie das ultimative
Böse im Universum sei. Scientology selbst mochte ein Unwohlsein
verursacht haben, aus Gründen, die ich zu der Zeit nicht genau
verstand. Aber Hass auf die Psychiatrie und Angst vor Psychiatern lagen
mir im Blut.
Ausserdem dachte ich, es wäre ziemlich cool, eine Superspionin zu
sein und es sah danach aus, als ob ich gute Chancen hätte, in die
Rechercheabteilung zu kommen, wo sich der Grossteil der
Superspionagetätigkeit abspielt.
Jetzt mal ernsthaft: Ich denke, wir haben hier den Kern dessen
erreicht, was Scientology-Kinder antreibt. Eines der Dinge bei
Scientology, die süchtig machen – das mag oder mag auch nicht erst
recht für die gelten, die dort aufgewachsen sind – ist dieses
dauernde Gefühl, dass Du ein Teil des universalen Kampfes bist.
Wenn Du ein Scientologe bist, wird Dir häufig erzählt, dass
Du auf Seiten des Lichts stehst in einem vage definierten galaktischen
Gefecht der Zukunft. Dein Kampf ist grösser als die Erde,
grösser als das Sonnensystem. Indem Du LRH-Tech anwendest und
verbreitest, gibst genau Du dem Universum echte Hoffnung. Könnt
ihr noch folgen? L. Ron Hubbard ist Yoda und jeder, den Du kennst, ist
Luke Skywalker. Einfach, indem Du da bist! Durch das Überqueren
der "Brücke" bist Du ein Krieger. Du bist der Last Action Hero.
Verlieren ist keine Option. Ich fordere hiermit Alle dazu auf, ins
Innere ihres Herzens zu blicken und mir zu erzählen, dass wenn sie
jemals eine Sache finden würden, die sie für so wertvoll
halten würden, wie wir diese Sache für wertvoll hielten, dass
sie dann nicht beitreten würden.
Stellt euch vor, sich so gross, so wichtig zu fühlen und so
mächtig und zwar jeden Tag eures Lebens. Und jetzt stellt euch
vor, zu erfahren, dass es alles eine Lüge war.
Ich weiss, dass es für eine Menge meiner Freunde, die Scientology
verlassen haben, ein grosses Problem war, zu erkennen, dass sie einfach
normale Leute waren. Es gibt keine grosse Schlacht gegen die
Psychiater. Tatsächlich gibt es gar keine "Psychs", wie
Scientology sie definiert. Viele von ihnen – das schliesst mich selbst
ein – suchen und suchen und suchen immer wieder nach etwas, um
diese
Lücke zu füllen. Irgendwas: Politik, Religion, Arbeit und sie
können es nicht finden.
Jedenfalls möchte ich hier auf Folgendes hinaus: Obwohl ich keine
Scientologin mehr war – ich war ja gerade raus – hatte ich immer noch
das Bedürfnis, gegen einen grossen und schlecht definierten Feind
zu kämpfen. Ich entschied, dass mein Beitritt zur CCHR eine gute
Art wäre, dieses Ziel zu verfolgen. Ich sagte mir selbst, dass ich
das nicht für Scientology tat, ich "handhabte die Psychs", damit
jede Religion in Freiheit blühen können sollte. Irgendwie
wusste ich es aber doch besser, als das laut zu sagen.
Und so begann mein letztes Jahr in Scientology.
Teil 3
Jeder, der jemals bei einer Org im Stab gearbeitet hat, hat eine gute
Vorstellung vom Leben in der CCHR. Hier einige Highlights aus meiner
Zeit dort:
- Von Minderjährigen (ich war da keine Ausnahme), die bei CCHR
arbeiteten, wurden regelmässig Überstunden abverlangt.
Manchmal arbeiteten wir bis zu 20 Stunden am Tag ohne dafür
Stundenausgleich oder Mehrlohn zu erhalten. Natürlich gab es keine
Beschwerden, denn die allgemeine Einstellung war, dass jeder, der sich
über solche Kleinigkeiten wie Bezahlung beschwerte, "downstat",
"kontraproduktiv"
oder
"nicht
an
Bord"
war.
Jedem, der sich beschwerte
oder wegen der Arbeitsbedingungen protestierte, wurde das Gefühl
vermittelt, schuldig zu sein und "out-ethics". Um ehrlich zu sein: Ich
habe nie auch nur daran gedacht, mich zu beschweren. Denn hey, die
bösen Psychs machten auch Überstunden und von denen gabs
tausende! Es gab nur einige wenige von uns, also mussten wir uns
dreimal so stark anstrengen, um sie zu besiegen, was immer das bedeuten
mochte.
- Einmal während einer CCHR-Spendensammelaktion wurden meine
ebenfalls minderjährige Freundin und ich von unseren normalen
Pflichten entbunden und dem Teil der Organisation zugewiesen, der
Spenden sammelte. Wir sollten eine gewisse Quote erfüllen und uns
wurde gesagt, dass wir nicht nach Hause dürften, solange diese
nicht erreicht wäre. Nach einiger Zeit fingen die Leute an nach
Hause zu gehen, doch wir wurden gebeten zu bleiben. Wir blieben bis ein
Uhr Nachts da. Es war zwar zu spät Leute in Los Angeles anzurufen,
aber es war uns ja noch möglich Leute in Hawaii zu erreichen. Um
ein oder zwei Uhr Nachts fehlten uns nur noch 300 US-Dollar. Meine
Freundin musste schlussendlich ihren Vater um das restliche Geld
bitten, und wir beide konnten nach Hause. Damals hatte ich das
Gefühl, etwas wirklich Gutes erreicht zu haben, weil ich geblieben
war, um das Geld zu sammeln.
- Als ich anfing, im Stab zu arbeiten, sagte ich dem Executive
Director, dass ich keine Scientologin sei und dass ich keine Kurse
machen wollte. Bei einem privaten Treffen zwischen uns beiden teilte er
mir mit, dass dies in Ordnung sei, dass ich aber im Rahmen meines
Arbeitstrainings "staffstatus I" und "II" erfolgreich absolvieren
müsse. Widerwillig stimmte ich zu. Ich selbst und jeder andere bei
CCHR war aufgefordert, die Kurse während der Arbeitszeit zu
besuchen, aber zugleich 8 Stunden am Tag zu arbeiten. Es gab keinen
Lohnausgleich für die für Kurse verwendete Zeit, denn CCHR
bezahlte auch für unsere Kurse. Dies war unabhängig davon, ob
wir die Kurse nun machen wollten oder nicht. Ich wurde aufgefordert,
nach den "staffstatus"-Kursen den "PTS/SP"-Kurs
zu belegen. Auf einmal
war mir klar, dass ich belogen worden war. Es würde immer weitere
Kurse geben, die im Rahmen meines "Arbeitstrainings" zu absolvieren
wären. Niemand hatte hier die Absicht, mich eine
Nicht-Scientologin sein zu lassen. Inzwischen weiss ich, dass es
illegal ist, Beschäftigte dazu zu zwingen, Kurse in einer
bestimmten Religion zu belegen, ob das nun als "Arbeitstraining"
bezeichnet wird oder nicht.
- Mitglieder des Stabs aus der Nachforschungsabteilung wurden
regelmässig von ihrem Posten entbunden, um Nachforschungsjobs
für OSA
zu übernehmen. Wir infiltrierten Psych-Treffen und
gruben soviel Dreck wie möglich aus über jeden Psychiater,
der gerade das Ziel des Tages darstellte, indem wir sie mit ruchlosen,
weltweiten Verschwörungen in Verbindung brachten, egal wie weit
hergeholt es war. Ich möchte hier nicht auf Details eingehen, aber
ich hoffe von Herzen, dass keine der mir unbedacht durchgeführten
"Recherchen" dazu beigetragen hat eine Karriere zu zerstören. Da
Scientologen glauben, dass jeder "Psych" ein Krimineller ist, gingen
wir bei unseren Nachforschungen davon aus, dass jeder von uns unter die
Lupe genommene Psychiater eine kriminelle Vergangenheit haben
müsse. Wenn wir keine Beweise irgendeiner kriminellen
Aktivität finden konnten, wurde generell davon ausgegangen, dass
das nur daran lag, dass der "Psych" niemals gefasst worden war und dass
es daher keine Aufzeichnungen über seine Verbrechen gab. Schuldig
bis zum Beweis der Schuld.
- Mitglieder von CCHR machten sich über nicht-scientologische
Anti-Psych-Gruppen lustig und bezeichneten sie abschätzig als
"verrückt". Weil ich in der Nachforschungsabteilung war, fand ich
online immer wieder Daten im Zusammenhang mit "Psychs".
Eines
Tags
stiess
ich
dabei
auf
eine
andere Gruppe von Menschen, die sich als
"Psych-Überlebende" betrachteten. Ihre Botschaft war nahezu
identisch mit unserer und sie hatten ohne Zweifel aus erster Hand
Missbrauch durch Psychs erfahren. Ich rannte aufgeregt zu meiner
Vorgesetzten und erzählte ihr davon. Zu meiner Überraschung
wusste sie bereits von der Gruppe, aber tat sie als Leute ab, "mit
denen wir nichts zu tun haben wollen". Ich fand das eher
kontraproduktiv, aber es zeigte sich, dass es allgemeiner Konsens im
CCHR-Stab war, dass diese Leute zu sehr durch die Psychiatrie
geschädigt worden waren und sie nicht länger bei Verstand
waren. Ich erinnere mich, dass ich dachte, dass dies ein grosser
"Outpoint" wäre. Das waren doch genau die Menschen, denen wir
helfen wollten, oder? Und sie stimmten schon unserer Botschaft zu,
richtig? Warum waren wir dann nicht Verbündete? Doch als ich
begann, auf dem Webring dieser anderen Gruppe zu surfen, fand ich auf
fast jeder Seite dieses Webrings eine distanzierende Erklärung, in
der es hiess: "Wir hängen nicht mit CCHR oder der Church of
Scientology zusammen". Ich erinnere mich daran, wie ich mich fragte was
genau wir falsch machten. Was brachte diese Leute dazu, sich von uns
abzugrenzen? Wie dem auch sei, ich wurde gebeten die Nachforschungen zu
beenden und das tat ich dann auch.
- Krankheit wurde von den Mitgliedern des Stabes und den Vorgesetzten
normalerweise als Schuld der kranken Person angesehen. Als ich eines
Tages gerötete Augen und eine Hals- und
Nebenhöhlenentzündung bekam, ging ich davon aus, dass es
schon OK wäre nach Hause zu gehen und sich auszuruhen. Vor allen
Dingen angesichts meiner bisher nahezu perfekten Anwesenheitsbilanz.
Meine unmittelbare Vorgesetzte zeigte Mitgefühl und ich wurde zum
Arzt geschickt. Ich wurde mit der Anordnung nach Hause gebracht mich
eine Woche auszuruhen. Allerdings rief mich am nächsten Tag das HAS,
mit
der
Aufforderung
sofort
zur
Arbeit
zurückkehren, zu Hause
an. Meine Vorgesetzte rief mich danach ebenfalls an, beschuldigte mich "out-ethics"
zu sein und meinen Posten verlassen zu haben.
Eingeschüchtert verliess ich mein Bett, zog mich an und bat meinen
Vater mich zur Arbeit zu fahren.
Er widersprach entschieden, wies mich an, zurück ins Bett zu gehen
und sagte, dass ich auf keinen Fall in der Lage wäre, arbeiten zu
gehen und mich ausruhen sollte. Ich sagte ihm, dass ich angewiesen
worden sei zur Arbeit zu gehen und er bestand darauf, die Org an meiner
Stelle anzurufen. Als mein Vater das HAS damit konfrontierte, kam
selbstverständlich die Antwort: "Ja, Mr. Wiseman. Natürlich,
Mr. Wiseman." Aber sobald ich in meinen Raum zurückkehrte, begann
mein eigenes Telephon zu klingeln. Wie ich vermutet hatte rief das HAS
zurück und meinte: "Wenn Du wie eine Erwachsene behandelt werden
willst, dann wag es nicht deinen Daddy vorzuschicken und für dich
anrufen zu lassen." Den Rest des Tages erhielt ich ähnliche Anrufe
von anderen wütenden Mitarbeitern. Eine drohte damit
Ethik-Sanktionen wegen meines unordentlichen Schreibtisches gegen mich
einzuleiten. Ich erzählte meinen Eltern nichts von diesen Anrufen
aus Furcht vor weiteren Ethik-Sanktionen. Anstatt noch mehr Probleme in
Kauf zu nehmen, ging ich am nächsten Tag zur Arbeit. Zu dieser
Zeit war ich 16. Zwei meiner Freunde, die damals dort arbeiteten, haben
ähnliche Geschichten erlebt, aber es ist nicht an mir sie zu
erzählen.
- Bei zwei verschiedenen Gelegenheiten, wo ich jeweils meine
Schlüssel verlor, wurde ich in den Verrats-Zustand versetzt. Das
erste Mal liess ich sie eine Stunde lang im Badezimmer im Obergeschoss
liegen. Das zweite Mal fielen sie versehentlich den Fahrstuhlschacht
herunter, als ich gerade den Fahrstuhl verliess. Ich fischte die
Schlüssel mit einer Konstruktion aus einem Bügel und einem
Magneten aus dem Fahrstuhlschacht heraus. Trotzdem wurden schwere
Ethik-Massnahmen gegen mich verhängt, denn ich war in die Org
gerannt um Bügel und Magnet zu holen und hatte die Schlüssel
im Schacht unbeaufsichtigt gelassen. Im Fahrstuhlschacht. Im Keller. Es
macht mich immer noch wütend, wenn ich nur daran denke.
- Das erste und letzte Mal, dass ich eine Frau küsste (mit sexy
Resultaten!) war an meinem freien Tag bei einer Privatparty im Haus
eines Freundes. Ja, ich war dumm, ich küsste sie vor den Augen
eines Sea Org Mitglieds. Einem Sea Org Mitglied, das – vorhersehbar –
nach Hause ging und sofort einen vollständigen Bericht über
den Vorfall schrieb und ihn an meine Vorgesetzten, meinen Eltern und
der Org schickte. Bei der Arbeit wurde ich deswegen diszipliniert und
zuhause gegen dieses Verhalten verwarnt. Ich kann euch sagen: Es gibt
nichts Beschämenderes, als wenn dein Boss und dein Vater eine
Bericht zu lesen bekommen, der in allen Einzelheiten deine einzige
lesbische Erfahrung schildert. Schreck lass nach.
- Bei der Arbeit trug ich Geschäftskleidung. An den Wochenenden
und in der Freizeit jedoch zog ich legere Kleidung vor. Ich bin der
festen Überzeugung, dass das, was ich ausserhalb der Arbeitszeit
trage nur mich und sonst niemand etwas angeht. Nichtsdestotrotz wurde
ich eines Sonntags von jemand gesehen, der meinen Arbeitsplatz kannte
und der mein schludriges Aussehen dem Executive Director berichtete.
Dementsprechend gab es Disziplanarmassnahmen. Der ED ermahnte mich,
dass ich mich an den Wochenenden wie ein "upstat" anziehen müsse.
- Während meiner Zeit dort wurde ich vom Executive Director trotz
meines Protests angewiesen, während meiner Essenspause an einem
Rekrutierungstreffen der OSA teilzunehmen. Ich machte ihr klar, dass
ich nicht teilnehmen würde, dass es also sinnlos sei. Doch es war
Mittwoch (beinahe Donnerstag um zwei Uhr), OSA brauchte die Statistik
und meine Teilnahme war erforderlich. Erbost überquerte ich die
Strasse zum HGB (Hubbard Guarantee Building) und wurde nach oben in
einen vornehmen Konferenzraum geführt, wo das Treffen stattfand.
Wie bei jedem typischen Sea Org Rekrutierungstreffen wurden meine
Lebensziele kritisiert und meine derzeitigen Beiträge zur
"Auslöschung der Psychiatrie" als unzureichend bezeichnet. "Willst
Du uns nicht dabei helfen, den Planeten zu klären?" fragten sie.
"Nein," antwortete ich. "Ich möchte, dass alle Religionen die
Chance haben, Menschen zu helfen ohne Eingreifen der Psychiatrie, nicht
nur Scientology." Ihr hättet ihre Gesichter sehen sollen.
Dies und andere Gegebenheiten, die ich hier nicht erwähne,
mögen auf einen aussenstehenden Beobachter belanglos wirken, aber
in der Summe liefen sie auf eine vollständige Invasion der
Privatsphäre und eine Missachtung der Würde des Individuums
hinaus. Wenn einem der Schlaf entzogen wird, man widersprüchliche
Anweisungen erhält, wenn man aufgefordert wird, es "richtig zu
machen", wenn genau das de facto ausserhalb des Rahmen des menschlich
Möglichen liegt, wenn man nur als so gut wie die neueste
"upstat"-Statistik angesehen wird... das kann Deine Seele
zerstören. Es gibt einige Dinge, bei deren Enthüllung ich
mich nicht wohlfühlen würde, denn sie hatten mit der
genaueren Natur der Arbeit zu tun, die ich für CCHR erledigte,
doch in persönlicher und psychologischer Hinsicht waren das
Schlüsselfaktoren für meine Entscheidung, abzuhauen.
(Nicht, dass Marla und Carry es gutheissen würden oder so, aber
falls es doch eine von euch liest: Ich kann euch immer noch sehr, sehr
gut leiden!)
Wie dem auch sei, dieses Rekrutierungstreffen der OSA und zwei
Begebenheiten, zu denen ich gleich komme, waren die letzten Tropfen,
die schliesslich das Fass zum Überlaufen brachten.
Tropfen Nummer eins: Wenn
man in Gesellschaft von Scientologen aufwächst, sind bestimmte
Vorstellungen so tiefgreifend verwurzelt, dass sie als
selbstverständlich angesehen werden. Erstens: Kinder in
öffentlichen Schulen werden ständig mit Psychopharmaka
gefüttert. Zweitens: Du bist etwas Besonderes, weil du Wissen
besitzt, "das andere Kinder nicht haben." Drittens, dass die
OT-Materialien das geheime Wissen über das Universum enthielten.
Unabhängig ob diese Gedanken durch Gleichaltrige und Mentoren nur
angedeutet, impliziert oder direkt behauptet werden, sie sind
Kerngedanken in den Köpfen der meisten jugendlichen Scientologen.
Zu jener Zeit hatte ich es geschafft, mich mit einigen Schülern
von öffentlichen Highschools anzufreunden und keiner von ihnen war
auf "psych-Drogen". Die meisten Highschool Schüler schienen
jedenfalls mehr als ich zu wissen und fähiger, Kontakte zur
Aussenwelt zu knüpfen. Deshalb war ich ziemlich sicher, dass ich
diejenige war, der etwas entging. Doch den Fakt zu widerlegen, dass die
OT-Materialien mir die Macht geben
würde, zu schweben und meine
eigenen Zigaretten anzuzünden, indem ich nur daran dachte, war
irgendwie etwas schwieriger.
Ich hatte auf Clambake alles über Xenu gelesen und natürlich
glaubte ich kein Wort davon. Wie sollte das auch möglich sein? Ich
war mein Leben lang Scientologin gewesen, meine Eltern waren
Scientologen, OT7 und OT8, ich kannte auch viele andere OTs und in der
ganzen Zeit hatte ich niemals – nicht einmal – auch nur das Wort "Xenu"
oder "Körperthetan" gehört. Abgesehen davon hatte ich die
Materialien auf Clambake gelesen und hatte keine Lungenentzündung
bekommen und war auch nicht gestorben. Also waren das ganz eindeutig
nicht die echten Materialien! Offensichtlich waren die Leute von
Clambake verrückt. Genauso wie es mir gesagt worden war.
Also wo konnte ich die echten Informationen finden? Ich musste es
einfach wissen! Einerseits... wenn diese Materialien die Geheimnisse
des Universums enthalten würden, wäre ich bereit, beliebige
Missbräuche hinzunehmen, meinen Irrtum einzugestehen und mich
reumütig in die nächste "Session"
begeben. Wenn es für
mich irgendeine Möglichkeit gab Ponys aus dem Nichts erscheinen zu
lassen, indem ich mich wieder mit der Church gutstellte, dann
würde ich dies tun.
Andererseits... wie wäre es, wenn ich hunderttausende Dollar
ausgeben würde und die nächsten zehn Jahre meines Lebens mit
dem Erreichen von OT 3 beschäftigt wäre, um dann zu
entdecken, dass es alles kompletter Unsinn war? Was wäre wenn –
worauf ich schon in früheren Beiträgen hingewiesen habe – die
OT-Dokumente nur ein Lockmittel waren? Bis dahin hätte ich meine
Jugend und mein Glück für Nichts verschwendet.
Also wartete ich und hielt die Augen offen. Eines Tages – ich werde
nicht sagen wie, wer und wann – hatte ich Gelegenheit einen Blick in
die
Aktentasche zu werfen, die die geheimen OT-Unterlagen von jemandem
enthielt. Diese Person hatte ihre Materialien unbeaufsichtigt liegen
gelassen und sofort nahm ich mich der Angelegenheit an und riss den
Umschlag auf. Was ich fand, war nicht viel. Aber es gab Bezüge auf
BTs ("Körper-Thetane"), "Cluster" und zu "Zwischenfällen auf
der ganzen Zeitspur".
Ich muss Euch sagen – eine Bestätigung der Xenu-Geschichte war das
letzte, was ich erwartet hätte zu sehen, aber da stand sie schwarz
auf weiss. Ich stand unter Schock. Ich legte alles so zurück, wie
ich es vorgefunden hatte und mir war bewusst, dass es besser wäre
über das Gelesene Schweigen zu wahren.
Tropfen Nummer zwei: Es
war Weihnachten 1999 und ich fühlte mich miserabel. Ich hatte den
heiligen Abend und Weihnachten bei meiner Familie verbracht und wollte
unbedingt meine beste Freundin besuchen. Als meine Eltern zum Essen
ausgingen, versprach ich später nachzukommen. Stattdessen ging ich
zum Haus meiner besten Freundin. Als mein Vater schliesslich kapierte,
dass ich nicht mehr zum Essen auftauchen würde, rief er mich an
und war verständlicherweise wütend. Ich versicherte ihm, dass
es mir gut ging und dass ich "morgen" zuhause sein würde. Er hatte
herausgehört, dass ich "um 12" wieder da wäre. Ich denke, er
glaubt bis auf den heutigen Tag, dass ich dies gesagt hätte.
Jedenfalls gab es ein Missverständnis zwischen uns beiden. Also,
da war ich nun im Haus meiner Freundin. Es war ca. 01:00 Uhr. Wir
hatten einen Angestellten des nahegelegenen Lebensmittelladens
überzeugen können uns vier Dosen Bier zu verkaufen. Wir
hörten im Keller " Velvet Underground" und hatten einen
Riesenspass, als ich draussen die Stimme meines Vaters hörte.
Ich werde die hässlichen Teile der Geschichte auslassen, aber es
lief auf Folgendes hinaus: Mir wurde gesagt, dass das CCHR und die Org
direkt am nächsten Tag über mein Verhalten informiert werden
würde. Ich hatte es gerade geschafft, einen langanhaltenden
"Verratszustand" aufgrund des
Schlüssel-im-Fahrstuhlschacht-Zwischenfalls zu verlassen und davor
einen aufgrund des Küssen eines Mädchens und davor für
das Zurücklassen meiner Schlüssel im Badezimmer und davor
für das Auslassen des Kurses. Sollte jemand bei OSA neugierig
sein, was meine Verbrechen sind: Da habt ihr sie! Setzt sie in die
Zeitung, verbreitet sie. Ich würde gerne auf der "religious
freedom watch"-Webseite als die "Schlüsselverlierende Lesbierin"
auftauchen. Der Gedanke erneut zwei weitere Monate in allgemeiner
Ungnade leben zu müssen, liess mich erschauern. Ich dachte daran,
sofort die Austrittsprozedur einzuleiten, doch die Erinnerung an die
magische, nie endende Sicherheitsüberprüfung zerstörte
diese Idee.
Das Fass war endgültig übergelaufen.
Teil 4
Ich lief also am nächsten Morgen von zuhause weg.
Packte einfach meine Sachen zusammen und verschwand. Ich tauchte wie
gewohnt bei der Arbeit auf, hinterliess eine gemeine Nachricht in allen
E-Mail-Postfächern, tat so, als würde ich Kaffee und
Zeitungen besorgen und rannte dann weg.
Der Privatdetektiv und die Polizei benötigten ganze drei Tage, um
mich zu finden, doch als ich nach Hause kam, fragten mich meine Eltern
zum ersten Mal in meinem Leben ernsthaft, aufrichtig und in guter
Absicht: "Was willst Du?"
"Ich will zur Uni gehen", sagte ich. "Ich will ein normaler Mensch
sein, ich will nie wieder in "Zuständen"
sein, ich will keinen
Sicherheitscheck mehr, ich will nie wieder in eine Org gehen, ich will
selber entscheiden, wie ich mich anziehe, mit wem ich befreundet bin
und meine Religion frei wählen können."
Unter der Bedingung, dass ich nie wieder weglaufen würde, stimmten
sie zu.
Mit Ausnahme des Tages als ich mich in meinen Verlobten verliebte, war
und bleibt der Tag, als ich Scientology verliess, der glücklichste
Tag meines Lebens. Ich kann nicht mit Worten beschreiben, wie es sich
anfühlte, als ich zum nahgelegenen Café ging. Mir fiel alle
Last
zentnerschwer von den Schultern, als ich im Kopf die Liste aller Dinge
durchging, die ich nie wieder würde ertragen müssen: Keine
TRs mehr. Ich würde nicht mehr in die Sea Org rekrutiert werden.
Keiner würde mich mehr als kriminell oder "downtone" beschimpfen,
nur weil ich widersprach.Keine Zustände, keine Kurse, kein
Auditing, kein E-Meter mehr. Kein Arbeitszeit-Missbrauch, keine
Rhetorik, keine Veranstaltungen, keine Registrar-Zyklen, keine Wissens-Berichte
mehr. Nur eine Welt, in der die eigene Ethik vom
eigenen Gewissen und von sonst nichts abhängt. Ich war wie
berauscht.
Fünf Jahre später. In dieser Zeit war ich in LA zur Schule
gegangen, hatte gearbeitet und sehr verzweifelt nach einer Ideologie
gesucht, die die rettet-das-Universum-Lücke in meinem Herzen
hätte schliessen können. Ich versuchte, besessen zu werden
von Kabbalah, Kommunismus, buddhistischer Meditation, Egalitarismus,
Rockbands, Pilates, Diäten und Anarchismus. Ich arbeitete bei "Food Not Bombs". Ich
ging zu politischen Protesten. Ich ging meiner
täglichen Arbeit nach. Alles was ich versuchte half kurzzeitig,
aber nichts blieb wirklich.
Schliesslich ging ich, auf Vorschlags meines Vaters, mit
Unterstützung meiner Mutter und auf Grund meines Wunsches etwas
Interessantes aus meinem Leben zu machen, nach China. Ich verbrachte
einige Jahre damit von einer asiatischen Stadt zur nächsten zu
ziehen. Am Schluss liess ich mich in Beijing nieder, um Mandarin zu
erlernen.
Wenn ihr meine alten Posts bei OCMB verfolgt habt, werdet ihr euch an
die Situation erinnern, wie mein "Disconnect"
anfing. Für die, die
es nie gelesen haben füge ich eine Kopie von damals bei:
"Nach einer friedlichen Kindheit und einer sehr turbulenten Jugend in
Scientology und meiner Flucht (ich bin aus einer Org abgehauen) besuche
ich derzeit eine Universität im Ausland. Vor wenigen Tagen kam
meine Mutter zu Besuch. Da ich einige Tage arbeiten musste und nicht
wollte, dass sie sich langweilt, habe ich eine meiner Freundinnen vor
Ort gebeten meiner Mutter die Gegend zu zeigen. Meine Freundin war
einverstanden. Am nächsten Tag fand ich heraus, dass meine Mutter
meiner Freundin gegenüber einige Prinzipien von Scientology in
einem völlig unangemessenen Kontext erläutert hatte und dies
in einem Land, wo Religion verboten ist und verfolgt wird.
Natürlich war ich wütend. Ich war verärgert, da meine
Mutter es als frühere "power FSM"
keine
zwei
Sekunden
unterlassen
kann,
jemanden
zu
rekrutieren zu versuchen. Im Rahmen dieser Diskussion
ist mir irgendwie das Wort "Gehirnwäsche" herausgerutscht. Ups.
Das führte zu einer Diskussion über meine Gefühle was
Scientology angeht und wir stritten uns tagelang. Als sie mich
beschuldigte, alle meine Beschwerden mit Internetmaterialien und nicht
mit Quellenmaterialien zu stützen, erzählte ich ihr von dem
einen Mal, als ich unter grossen Schwierigkeiten jemandes vertraulichen
Materialien öffnete und einen Haufen von
"Körperthetanen"-Schrott fand und zwar direkt aus der Quelle.
Sie war darüber schockiert, aber ich bin froh, dass ich es getan
habe. Seitdem bin ich absolut sicher, dass die oberen Level nichts als
kompletter Mist sind und lebe ein glückliches, produktives Leben
ausserhalb der Church. Sie, und mit ihr jetzt auch die Church of
Scientology drehen jedoch durch, weil ich mich weigere, zu
enthüllen, wessen Materialien es waren, die ich mir vor all diesen
Jahren angesehen habe.
Es ist natürlich so: Trotz der Tatsache, dass das Jahre her ist,
dass ich es tat, trotz der Tatsache, dass sich nichts ausser ihrem
Wissen davon verändert hat, trotz der Tatsache, dass sie mich
lieben, trotz jahrelanger guter Familienbeziehungen und der Arbeit an
unseren Unterschieden, habe ich es jetzt vermasselt und sie wissen es.
Sie werden einen Bericht an Scientology darüber schreiben und es
ist sehr gut möglich, dass ich deshalb zu einer SP
erklärt
werden würde. Sie wissen, dass das dazu führen kann. Aber sie
tun
es trotzdem, denn es ist unmöglich, ein Scientologe zu sein und
keine orwellschen Berichte zu schreiben.
Hier sitze ich nun in diesem fremden Land und warte darauf, ob sie mich
zu einer unterdrückerischen Person (SP) erklären oder nicht.
Ich nehme natürlich an, dass sie es tun werden, ausser wenn ich
mich ihrer "Justiz" unterwerfen würde, was ich definitiv nicht,
unter keinen Umständen, machen werde. Ich denke nicht, dass ich
Subjekt ihrer sogenannten "Justiz" bin, aber ich habe mich bereit
erklärt mit einem Vertreter der Church zu telefonieren, wenn sie
mir im Gegenzug erlauben weiterhin Kontakt mit meiner Familie zu
pflegen. Ich habe gesagt, dass ich ihm genau dasselbe sagen werde, was
ich ihnen gesagt habe. Ich werde nicht aussagen, wessen Materialien und
mich dann plötzlich inmitten einer lächerlichen Ethik-Aktion
gegen jemanden wiederfinden, der sie nicht verdient. Ich werde keine
Zeit mehr – wie in meiner Jugend – darauf verschwenden, von
höherrangigen Mitgliedern und von Tribunalen, besetzt mit
selbstgerechten Sea Org Mitgliedern, angeschrieen zu werden und mich
deshalb dafür schuldig zu fühlen, ich selbst zu sein und eine
andere Meinung zu haben.
Mein Vater hat die Church gefragt, ob sie mich per Telefon kontaktieren
könnten, so dass ich mit ihnen von dem Land aus sprechen
könnte, in dem ich mich befinde. Ansonsten würde ich nach
hause fliegen müssen und zu CoS gehen müssen, um das
beizulegen. Sie haben abgelehnt mit mir per Telefon zu reden (nur so
hätte ich die Schule weiter besuchen können), denn sie
befürchten die Regierung könnte ja unser Telefongespräch
abhören. ...Genau.
Ich liebe meinen Vater. Ich liebe auch meine Tante, meine Onkel, meine
Cousins, meinen Bruder und seine Familie und meine kleinen Neffen und
Nichten. Sie sind alle Scientologen und meine gesamte unmittelbare
Familie. Ich werde vielleicht nie wieder in der Lage sein, mit ihnen zu
sprechen, da ich mich nicht dem psychologischem Terror beugen werde.
Mir ist unbegreiflich, dass Scientology sich wieder einmal in mein
Leben gedrängt hat, nachdem ich viel Zeit damit verbracht habe es
aus meinem Umfeld zu verbannen.
Ich bin derzeit völlig perplex. Meine Eltern haben gesagt, dass
sie eine SP-Erklärung unterstützen würden, sollte diese
herausgegeben werden. Gleichzeitig meinten sie beide, dass sie
wüssten, dass ich keine unterdrückerische Person sei und dass
sie mich liebten. Wie bitte? Ich nehme an "perplex" ist hier der
falsche Ausdruck. Entschuldigt hiermit meine Ausdrucksweise: Ich
hätte verdammt nochmal mit dieser Reaktion rechnen müssen. Es
ist schon erstaunlich, wie Gehirnwäsche dazu führen kann,
dass zwei komplett gegensätzliche und irrationale Konzepte in
derselben Person auftreten können."
Dann verschwand ich sehr plötzlich und abrupt aus dem Forum.
Mehrere Leute äusserten ihre Besorgnis und wollten wissen, was mit
mir passiert sei, ob OSA mir zusetzte und ob ich immer noch mit meinen
Familienmitgliedern sprach. Ich antwortete nicht auf diese Posts.
Folgendes war passiert: Mum und Dad waren bei FLAG und erhielten
Ratschläge und Beratungen zur aktuellen Situation. Kurz nachdem
ich dieses Posting gemacht hatte – ca. fünf bis sieben Tage danach
– erhielt ich einen Anruf meines Vaters. Er informierte mich, dass er
die Posts auf ARS gesehen hatte. Lange Rede, kurzer Sinn: Er bat mich
nicht mehr auf ARS zu posten oder irgendeine Verbindung zu SPs zu
unterhalten, da es für die Situation nicht hilfreich wäre.
Ich wandte dagegen ein, dass er von Leuten umgeben war, die mit seiner
Sicht übereinstimmten und dass ich dasselbe verdiente. Ich
würde nicht zulassen, dass Scientology mich isolierte,
während sie mich seelisch gruppen-vergewaltigten. Ich brauchte
Unterstützung und hatte jedes Recht darauf.
Da war ausserdem die Frage, wie genau er diese Posts gefunden hatte:
Mein Vater kann keine Newsgroup benutzen, er weiss nicht wie das geht
und er ist nicht der Typ, der auf Entheta-Seiten surft. Folgendes war
passiert: Jemand von OSA oder der Sea Org, der ARS überwachte,
fand heraus, wer ich war. Derjenige druckte einige meiner Posts aus
(allerdings -zumindest war das mein Eindruck – nichts von dem positiven
Zeug) und übergab sie meinen Eltern.
Nach vielen Verhandlungen auf beiden Seiten, flogen meine Eltern
letztendlich hierher nach China. Wir hatten ein Treffen, das drei Tage
dauerte. Vieles wurde gesagt. Ich sagte manche Dinge, die ich bedauere
und ich bin sicher, sie bedauern einige der Dinge, die sie gesagt
haben. Ich glaube, sie hatten beide ein wenig Angst, mich zu verlieren
und waren ein bisschen verwirrt, aus welchem Grund ich darauf beharrte,
mit Online-Kritikern zu reden.
[Ergänzung: Ich bin gebeten worden, genau aufzuschreiben, was mir
im Disconnection-Prozess passierte, also füge ich das hier ein]
Unsere Verhandlungen kamen nicht sehr weit. Ich war bereit wieder
gutzumachen, dass ich sie aufgeregt hatte, solange dieses
Wiedergutmachen nur ausserhalb der Church stattfand. Ich war nicht dazu
bereit, zurück nach LA zu gehen und mit irgendjemandem von der Org
zu sprechen. Doch in Wahrheit lief es auf folgendes hinaus: Bevor wir
darüber reden konnten, wie wir unsere Beziehungen reparieren
könnten, musste ich vorab zustimmen, nie wieder mit
Anti-Scientologen oder aktiven Kritikern zu sprechen. Ich musste
zustimmen, keine negativen Äusserungen über Scientology im
Internet zu verbreiten.
In diesen letzten Momenten, während dieser letzten Entscheidung,
wurde ich gebeten in den Garten zu gehen, eine zu rauchen und
darüber nachzudenken, ob ich meine Familie behalten oder weiterhin
Umgang mit SPs haben wollte. Ich war einfach nicht dazu bereit, diese
Wahl zu treffen. Ich stand völlig unter Schock. Ich sass da mit
meiner Zigarette, starrte auf das Wasser des Sees und dachte: "Soll ich
der Church of Scientology das Recht zugestehen, mir vorzuschreiben, wer
böse ist und wer nicht?" Die Antwort war nein.
Meine Eltern wiesen darauf hin, dass sie in diesem Fall nicht mehr mit
mir sprechen wollten, ausser zur Regelung meiner finanziellen
Angelegenheiten (was sie auch taten).
Ich versuchte wirklich, auf dem Weg zum Hotel nicht zu weinen. Ich
versuchte wirklich, auf der Heimfahrt im Taxi nicht zu weinen. Ich
versuchte wirklich, auf dem Weg in mein Appartement nicht zu weinen.
Als
ich angekommen war, warf ich mich auf den Küchenboden und wartete
auf die Tränen. Sie kamen nicht, obwohl ich fühlen konnte,
wie sie einen sehr hohlen Raum in meinem Magen formten. Dann schlief
ich ein.
Einige Tage später entschied ich, dass die beste Art des Umgangs
mit der Disconnection darin lag, sie einfach zu ignorieren. Ich
beschloss, dass ich einfach weiterschreiben würde. Ich schrieb
meinen Eltern eine Mail, in der ich ihnen mitteilte, dass ich wusste,
dass sie trotzdem auf jeden Fall, was auch immer geschehen würde,
über mein Wohlbefinden informiert werden wollten. Zu meiner
Überraschung antworteten sie.
Im Verlauf der nächsten Monate versuchte ich die Ruhe zu bewahren,
wenn ich E-Mails bekam in denen ich gefragt wurde, wohin ich meine
Sachen zugeschickt haben wolle und wenn ich Unterlagen ausfüllen
musste, damit der Name meines Vaters von meinen Bankunterlagen
verschwand. Drei Monate angespannter Finanzplanung zur Vorbereitung der
Familie auf den Disconnect. Ich beklagte mich nicht. Es war schon
vorbei.
Irgendwann während dieser Zeit fing eine neue Debatte an. Wir
begannen einen neuen Dialog und bemühten uns noch einmal die
Angelegenheit zu klären. Ich stand unter unglaublichem Druck und
glaubte, wenn ich etwas Falsches sagte, dass dann der Disconnect wieder
greifen würde. Ich war sehr vorsichtig und versuchte meinen
Standpunkt so gut als möglich zu erklären. Dasselbe taten
auch sie. Sie wollten, dass ich wieder ganz von vorn mit Scientology
anfing und alles neu erlernte. Die Vorbedingung für eine
Wiedervereinigung der Familie sollte ich eine öffentliche
Erklärung abgeben, in der ich zugab, dass mein Umgang mit den
Foren ignorant und unbegründet gewesen war. Ich sagte ihnen, dass,
was auch immer ich von Scientology halten mochte, und was auch immer
sie von Scientology halten mochten, nichts mit unserer
Eltern-Kind-Beziehung zu tun hätte. Sie widersprachen. Die ganze
Zeit lag diese Drohung auf dem Tisch: "Wir werden nicht mehr mit Dir
reden, wenn Du diesen Forderungen nicht nachkommst."
Plötzlich wurde ich schrecklich wütend, dass ich um die Liebe
meiner Eltern diskutieren musste. Wütend darauf, um ihren Respekt
zu betteln. Wütend darauf, verhandeln zu müssen, dass sie
weiterhin ein Bestandteil meines Lebens blieben. Die "Wir gegen
sie"-Mentalität von Scientology und die Schwarz-Weiss-Natur der
Disconnection-Richtlinie führen zu dieser Art der Einstellung:
"Beteilige Dich am Kampf oder geh aus dem Weg". Ich nehme an, das war
es, was mir passiert ist. Sie hatten der Disconnection bereits
zugestimmt. Sie hatten beide darauf hingewiesen, dass sie, wenn sie
darum gebeten würden von mir zu disconnecten, es tun würden.
Andererseits meinten sie auch, dass sie nicht glaubten, dass ich eine
unterdrückerische Person sei. Das Vertrauen zwischen Eltern und
Kind war zerbrochen. Wir zerbrachen es beide. In einem meiner
Antwortbriefe verwendete ich einen Begriff aus den höheren Levels,
und sie liessen mich wissen, dass dies nicht akzeptabel war.
Ich schickte ihnen einen wütenden Brief und sagte ihnen, wenn es
so sein sollte, dass sie mit mir nicht über die oberen Level reden
wollten, dass sie nicht einfach versuchen konnten, über unsere
Meinungsverschiedenheiten hinwegzukommen wie das Eltern und Kinder
können sollten, dann sollte es das eben gewesen sein. Wir hatten
absolut alles gesagt, was zu sagen war und drehten uns nur noch im
Kreis. Ich erklärte ihnen, was sie mit den Sachen tun sollten, die
mir gehörten und die sie bereits verpackt hatten. Sie stimmten zu.
Auf Wiedersehen.
Die nächsten zwei Jahre über schrieb ich ihnen dennoch. Ich
sagte ihnen, dass sie nicht antworten müssten, da sich meine
Meinung nicht geändert hatte, aber dass ich sie immer noch liebte.
Ich erzählte ihnen, dass ich die Liebe meines Lebens getroffen
hatte, ich erzählte ihnen später, dass ich heiraten
würde. Ich bekam keine Antwort.
Als ich das letzte Mal meine Eltern sah, sassen sie in ihrem
Hotelzimmer und ich verliess den Raum. Seitdem habe ich herausgefunden,
dass meine Eltern glauben, dass ich von ihnen disconnected hätte.
Ich denke, sie haben den Eindruck, dass ich eine "Schlangengrube voller
SPs" über meine Familie gestellt habe und seitdem haben sie den
Leuten erzählt, dass ich diejenige gewesen sei, die von ihnen
disconnected hätte. Ich denke, das glauben sie wirklich, wegen
dieses Briefs, den ich ihnen geschickt hatte. [Ende der Ergänzung]
Ich wünschte, ich könnte ihnen Folgendes erklären: Die
Entscheidung zwischen einerseits der Freiheit, zu sprechen mit wem auch
immer ich sprechen möchte und dem Verlust meiner Familie
andererseits ist keine Entscheidung, die ich treffen müssen
sollte. So sehr ich auch meine Eltern liebe, ich habe während
meines Heranwachsens hart dafür gekämpft, dass die Church of
Scientology nicht länger mein Leben beherrscht. Ich konnte und
wollte nicht mein Recht aufgeben, mit Leuten zu sprechen, mit denen ich
einer Meinung war, nur weil die Church das für ein Hochverbrechen
hält. Ich bin eine Erwachsene (oh Gott, bin ich schon erwachsen?)
und es ist niemandes Sache, nicht einmal Sache meiner Eltern, von mir
zu fordern, nicht über eine Situation zu reden, die ich als
missbräuchlich und verdorben empfand. Aber "nein" wurde als
Antwort
nicht akzeptiert.
Es läuft auf folgendes hinaus: Die Church of Scientology hat
Verbrechen. Es gibt sonst keinen Grund auf Erden, keinen geltenden
Grund jedweder Art psychologischen Druck auf Leute auszuüben, um
sie zum Schweigen zu bringen. Wenn die Church of Scientology nichts zu
verbergen hätte oder wenn sie nur einen Funken Mitgefühl oder
Verständnis für menschliche Individualität aufbringen
würde, würde es diese Regel nicht geben und die Church
würde kein Problem darin sehen, Kritiker nach Herzenslust
kritisieren und lästern zu lassen. Alles, was L. Ron Hubbard
jemals über Kriminelle und SPs geschrieben hat, trifft auf die
Church of Scientology zu. Man müsste blind, taub und dumm sein, um
das nicht zu erkennen.
Offiziell bin ich noch nicht zu einer SP erklärt, obwohl ich
vermute, dass diese Äusserung das verändern wird. Meine
Eltern haben die Verbindung zu mir getrennt, bevor die eigentliche
Erklärungsanweisung durchkam und deshalb kann ich mich, sollte ich
widerrufen wollen, direkt an sie wenden, statt an den International
Justice Chief.
Trotzdem bin ich auf irgendeiner merkwürdigen schwarzen
Untergrundliste der Church, die es angeblich nicht gibt und die Church
of Scientology übt weiter Druck auf Menschen aus, mit denen ich
kaum rede, alle Verbindungen zu mir abzuschneiden mit der im
Hintergrund stehenden Drohung der Disconnection von ihren Familien.
Diese Drohungen gibt es bis zum heutigen Tag.
Nach der Disconnection war ich zu ausgelaugt und zu erschrocken, um
mich den Foren wieder zuzuwenden. Ich fühlte mich besiegt und ich
arbeitete daran, die Schule abzuschliessen. Ich hatte in den USA kein
Zuhause mehr und war unsicher, wohin ich gehen würde, wenn ich
soweit wäre, China zu verlassen. Und natürlich hoffte ich,
entgegen jeder Vernunft, dass, wenn ich nichts neues schreiben
würde, meinen Kopf unten halten und nichts sagen würde, meine
Familie endlich entdecken würde, wie dumm das alles ist und mir
zum Geburtstag schreiben würde oder zu Weihnachten... In einigen
Monaten werde ich heiraten. Ich wünsche, sie könnten dabei
sein.
Ich habe nichts mehr von ihnen gehört. Ich habe solange nichts
mehr von ihnen gehört, Briefe zu schreiben ist wie wenn ich in ein
Tagebuch schreiben oder Selbstgespräche führen würde.
Ich weiss nicht, ob sie meine E-Mail geblockt haben oder nicht, doch
ich hoffe, dass sie sie erhalten und ich hoffe, sie wissen, dass es mir
besser als je zuvor geht.
Ich möchte, dass die Leute, die das hier lesen, etwas begreifen:
Meine Eltern und Familienmitglieder sind keine bösen Menschen. Ich
weiss, dass die meisten Menschen, die Disconnection erlebt haben, das
verstehen werden, aber soweit es die allgemeine Öffentlichkeit
angeht, würde ich gerne festhalten, dass meine Familienmitglieder
nicht böse sind. Ich hasse sie nicht, ich hege keine Ressentiments
gegen sie. Ich möchte sie nicht dafür bestraft sehen oder
dazu gezwungen, nicht länger Scientologen zu sein oder irgendetwas
in dieser Art. Ich möchte einfach wieder mit ihnen reden.
Es mag schwer zu verstehen sein für Leute, die sowas nie
durchgemacht haben, doch meine Eltern und Familie glauben wirklich und
aufrichtig, dass sie das Richtige tun. Sie glauben, dass sie auf der
Seite des Guten in diesem grossen, universellen Kampf kämpfen und
sie glauben, dass ich sie davon abhielt, die Menschheit zu retten. Sie
glauben, dass sie zwischen der Rettung der Menschheit und einer kleinen
Tochter wählen müssten. Sie glauben, ihre Tochter sei zur
dunklen Seite übergelaufen. Ich kann mir kaum vorstellen, wie
schmerzhaft es für sie sein muss, das zu denken.
Wenn es etwas gäbe, was ich ihnen jetzt sagen könnte,
wäre es dies: Eine Church sollte stark gegen Disconnection
eintreten. Jede Gruppe, die Disconnection als eine Möglichkeit im
Verhältnis zwischen Familienmitgliedern ansieht (unabhängig
davon, wie sehr es als "letzte Option" angesehen wird) oder
Ethikaktionen an Leuten vollzieht, die sich weigern, von ihren eigenen
Familienmitgliedern zu disconnecten, verdient nicht eure
Unterstützung.
Ansonsten? Ich würde ihnen sagen, dass ich sie liebe. Ich
würde ihnen sagen, dass ich wünsche, die hätten mir eine
Chance gegeben, zu zeigen, dass ich erwachsen bin, dass ich gut alleine
klarkomme und dass ich glücklich bin.
Ich würde ihnen sagen, dass es möglich ist,
Familienbeziehungen aufrecht zu erhalten, unabhängig davon, wie
sehr zwei Menschen unterschiedlicher Auffassung sind oder wie deutlich
diese Meinungsunterschiede zum Ausdruck gebracht werden.
Ich würde meinem Vater sagen, dass ich ihn immer noch für
einen ehrenwerten Mann halte. Ich würde meiner Mutter sagen, dass
es mir wirklich Leid tut, dass wir nicht das beste Verhältnis
hatten als ich aufwuchs, aber dass ich wünsche, wir hätten
die Chance, noch einmal von vorn anzufangen, denn ich denke, wir
könnten es schaffen. Ich würde meinem Vater sagen, dass ich
gerne einen Film zusammen mit ihm sehen und mich über Politik mit
ihm streiten würde und bei Mos Essen gehen. Ich würde meiner
Mutter sagen, dass ich mit ihr kochen, tratschen und mit ihr zusammen
Descansos Gärten besuchen möchte. Ich würde meinem Onkel
sagen, dass er immer noch der Beste im Wörterbuchspiel ist, toll
in einem Poet-Shirt aussieht und wenn er mich noch einmal zum
Kultur-Festival mitnehmen würde, würde ich diesmal zusammen
mit ihm aufstehen und applaudieren. Und meiner Tante Virginia
würde ich sagen, dass sie fantastisch ist, dass sie immer
fantastisch war und dass ich mir wünschte, dass sie meine
Trauzeugin wäre.
Ich werde wahrscheinlich nie die Möglichkeit haben, ihnen diese
Dinge zu sagen und sie werden denken, dass dies leere Worte sind, da
ich gleichzeitig Scientology angreife. Aber ich möchte, dass
jeder, der das liest, versteht, dass es absolut möglich ist,
gleichzeitig gegen das Management der Church of Scientology zu sein und
meine Familie zu lieben.
Und das ist, in ihrer ganzen Länge, meine Geschichte.
Im englischen Original
spricht die Erzählerin dieser Geschichte von "Church", was in
diesem
Text als "Kirche"
übersetzt werden könnte. Das
würde aber im deutschen Text eine Aufwertung der Scientology
Organisation bedeuten. Church bedeutet aber in den USA nicht unbedingt
immer eine Kirche im herkömmlichen Sinn, sondern unter anderem
auch eine Versammlung von Gemeindemitgliedern. Im Deutschen bedeutet
Kirche "dem Herrn gehörig" (griech. kyriaké, althochdt.
kiricha) und daher ist der Begriff Kirche in der deutschen
Übersetzung nicht verwendbar.
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