Interview mit Thomas Gandow
in 3sat mit Gerd Scobel

Transkript der TV Sendung vom 15. 1. 2007 in 3sat Kulturzeit

Mit der freundlichen Genehmigung zur Veröffentlichung von Pfarrer Thomas Gandow

The english translation from this Interview is here


Interviewer: Vor der Sendung hatte ich Gelegenheit, mich mit Thomas Gandow zu unterhalten. Er ist Beauftragter der evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg für Sektenfragen, Scientology-Experte und Leiter des Dialog-Zentrums Berlin. In einem Prozess vor dem Amtsgericht Brandenburg gab die Scientology Kirche zu, den Sektenbeauftragten überwacht zu haben.

Schönen guten Abend, Herr Gandow!

Thomas Gandow: Guten Abend.


I: Sie wurden beobachtet von Scientology. Warum eigentlich?

TG: Ich hatte für acht Monate einen Scientology-Aussteiger und seine Verlobte bei mir im Haus versteckt, die bereiteten sich auf einen Prozess vor, den sie in Amerika zu führen hatten und sie werden von Scientology verfolgt, weil Scientology verhindern will, dass sie über ihre Erfahrungen mit dieser Organisation berichten.


I: Würden Sie denn sagen, es gibt sowas tatsächlich wie eine direkte Schädigung durch Scientology?

TG: Viele Leute werden materiell ganz stark geschädigt. Manche Leute werden psychisch geschädigt, werden verrückt und es gibt viele Fälle, wo Leute bei Scientology sterben. Ich denke an den Deutschen Konrad Aigner, an die Amerikanerin Lisa McPherson oder an den Franzosen Patrice Vic, das sind Leute, die sind bei Scientology, in deren Obhut, Pflege und Behandlung gestorben.


I: Warum hat denn Berlin – und hier muss man ja sagen: ausgerechnet Berlin aufgehört, Scientology vom Verfassungsschutz beobachten zu lassen, was es Scientology gewissermassen ja geradezu nahelegt, jetzt in die Hauptstadt zu gehen.

TG: Also, ehrlich gesagt, reicht meine Phantasie nicht ganz aus, mir das zu erklären. Knappes Jahr nachdem der Berliner Senat diese Niederlage bei Gericht bekommen hat, dass sie keine V-Leute mehr einsetzen dürfen gegen Scientology, hat der regierende Bürgermeister den Scientology-Sprecher Tom Cruise ins Rote Rathaus eingeladen und hat ihn ins goldene Buch der Stadt sich eintragen lassen. Ich kann das nur als einen Erfolg von Scientology Public Relations betrachten, wenn der Berliner Senat dann auch noch hat verlauten lassen, dass der Verfassungsschutz gar nicht für Sekten zuständig sei. Natürlich ist er das und der Bundesverfassungsschutz tut gut daran, dass er das tut und Scientology ist eins von sechs Arbeitsgebieten des Bundesverfassungsschutzes. Die Berliner sind da... blind. Liebe macht blind.


I: Das passt ein bisschen zu einer Nachricht aus Zeitungen von vor zwei bzw. drei Tagen in England, speziell in London, wo es darum ging, dass die Labor Party über Umwege –auch da war Tom Cruise mit beteiligt– Geld bekommen habe. Ist das, denken Sie, die Form von Lobby-Arbeit, die Scientology jetzt machen wird?

TG: Genau das erwarten wir. Scientology möchte anständig werden. Sie möchten genannt werden im Zusammenhang mit prominenten Politikern, mit Filmstars. Und dazu schaffen sie es, dass das höchste Gremium der Labor Partei sie einlädt bei einem Parteitag mit einem Stand zu präsentieren und dafür hat die Labor Party auch Geld bekommen. In Brüssel hat ja die Lobby-Zentrale auch schon so gewirkt, dass es keinen wirklichen Aufschrei gegeben hat, als ausgerechnet der Direktor des Hannah-Arendt Instituts für Totalitarismusforschung bei der totalitären Scientology Organisation aufgetreten ist.


I: Jetzt könnte man ja vermuten: Berlin ist ja traditionell immer die Brücke zum Osten gewesen, zum ehemaligen Ostblock auch. Die ehemalige DDR gilt eher tendenziell als atheistisch, areligiös. Könnte es sein, dass Scientology sagt: Mensch, da ist für uns jede Menge Sanierungsgebiet?

TG: Ja. Scientology ist ja eine wissenschaftliche Weltanschauung, das behaupten sie jedenfalls von sich und das Wissen von Scientology wird in Schulungskursen vermittelt. Die können da ideal anknüpfen. Sie haben es aufgrund unseres Widerstands bisher bei uns im Osten so nicht geschafft, in Bulgarien sieht das ganz anders aus: Da wurden Hubbard-Werke von der Akademie der Wissenschaften herausgegeben. In Russland ist es so gewesen, dass da für hundert Tage ein Scientology-Absolvent, Herr Kirijenko, Ministerpräsident gewesen ist. Also, über den wachsenden Einfluss von Scientology weltweit wundere ich mich nicht mehr, nachdem ich das erlebt habe, was in Russland möglich ist.


I: Das fängt ja klein sozusagen an, nämlich in den Schulen und die scheint Scientology sich ja jetzt als besonderes Objekt der Begierde ausgesucht zu haben.

TG: Es gibt einen extra Werbetrupp in Berlin von 150 Scientologen, die sich für drei Monate verpflichtet haben, in Berlin zu arbeiten. Nun ist ausgerechnet vor dem neuen Hauptquartier eine Bushaltestelle, wo Schüler mehrerer Schulen umsteigen müssen. Und die Scientology-Werber sprechen diese Schülerinnen und Schüler, ob klein, ob gross, an. Es besteht also auch eine Gefahr für Einzelne, gerade für Jugendliche.

I: Herzlichen Dank für das Gespräch, Thomas Gandow.


Dieser Text ist eine Abschrift des Fernsehbeitrags vom 15. 1. 2007 in 3sat Kulturzeit.
Eventuelle spätere Veränderungen des Sachverhaltes sind nicht berücksichtigt.


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