An die Angehörigen eines Sekten- oder Kultmitgliedes...


dieser bisher im Internet unveröffentlichte Text wurde mir von einer sehr lieben Ex-Scientologin
mit der Genehmigung zur Veröffentlichung übergeben:


Das Wichtigste gleich zu Beginn:

  1. Es gibt keine Patentrezepte! Was auf den einen Menschen Eindruck macht, kann einen anderen völlig kalt lassen.
  2. Erwarten Sie nie, dass das was Sie tun spektakulär und schnell wirkt. Vieles von dem, was sie tun, mag richtig und wirksam sein, ohne dass Sie zunächst eine Reaktion bemerken können.
  3. Tun Sie nie etwas, das Ihnen absolut zuwider ist; wenn Sie leidenschaftlich gegen den Kult eingestellt sind, so geben Sie das ruhig zu - nur achten Sie darauf, dass Sie den Betroffenen nicht beleidigen oder verletzen. zB. sollten Sie Leute, die von den Betroffenen als Freunde empfunden werden, nie persönlich attackieren oder die Freundschaft abwerten!
  • Am Beginn einer Beschäftigung mit einem destruktiven Kult kann ein interessanter und harmonischer gemeinsamer Urlaub noch rechtzeitig Distanz bringen - Achten Sie auf die Möglichkeit einer Beschäftigung mit "philosophischen" Themen - aber streuen Sie das Angebot möglichst breit!
  • Sprechen Sie öfter (auch bzw. gerade in Briefen) schöne gemeinsame Erlebnisse der Vergangenheit an bzw. versuchen Sie, auch durch "Unternehmungen" an sie anzuschliessen (man muss sich ja nicht in der aus jüngster Vergangenheit mit zahlreichen negativen Gefühlen belasteten Wohnung treffen; auch ein Terrain das für den Betroffenen mit dem Kult stark verbunden ist, auf dem er sich natürlich "sicher" fühlt, muss es nicht unbedingt sein; wie wäre es mit jenem Gasthaus, zu dem Sie früher immer ihre Sonntagsspaziergänge geführt haben?)
  • Unterschreiben sie NIE Einverständniserklärungen zu Mitgliedschaft Ihres Angehörigen bei irgendeiner unbekannten(?) Gruppe, bevor Sie sich gründlich über diese informiert haben! Lassen Sie Sich dabei nicht von "Schönwetter" Einladungen seitens der Gruppe täuschen!
  • Wälzen Sie nicht wieder und wieder die Schuldfrage; weder Sie noch das Kultmitglied noch sonst jemanden trifft "Schuld" im eigentlichen Sinn. - Und "schämen" Sie Sich Ihres Problems nicht! Menschen aus allen Kreisen und Schichten sind von ihm betroffen und sein Auftreten ist kein Indikator für persönliches Versagen!
  • Nutzen Sie die eventuell noch vorhandenen emotionalen Bindungen an traditionelle Feste (Geburtstag, Weihnachten Ostern, u.ä.) und feiern Sie diese mit Ihrem Angehörigen gemeinsam. Meiden Sie dabei konfliktträchtige Themen!
  • Vermeiden Sie in Gesprächen und Diskussionen Formulierungen "Warum tust Du und das an?" "Womit habe ich das verdient?" "Was wird XXXX sagen, wenn er das erfährt?" u.ä. - überhaupt vermeiden Sie es, mit den Schuldgefühlen des Betroffenen zu operieren - das tun Kulte auch - und sie können es besser!
  • Diskussionen über weltanschauliche Aspekte des Kultes sind normalerweise fruchtlos u.a. weil nicht der "Glaube" den Betroffenen hält, sondern ein Zusammenwirken verschiedener "Psychotricks" (Gruppendynamisches ebenso wie Elitegefühl,....) einzige Ausnahme: zum Schaffen einer Vertrauensbasis; wenn ganz am Ende oder ganz am Anfang einer "Laufbahn" kompetent Beziehungen zu geachteten bzw. verwandten Systemen, Personen oder Anschauungen hergestellt werden können.
  • eine gute Gesprächsbasis sollte unbedingt erhalten bleiben: nicht durch persönliche Angriffe und Unterstellungen leichtfertig zerstören; auf alle schriftlichen oder mündlichen Kontaktaufnahmen reagieren; Überzeugungen (oder scheinbare Überzeugungen) nicht abwerten oder lächerlich machen; mit der eigenen Meinung zwar nicht hinter dem Berg halten, aber ganz klar machen, dass Sie den Betroffenen UNABHÄNGIG von seinen Überzeugungen und Mitgliedschaften lieben und schätzen. (nach dem Motto: "Ich kann Deinen Meinung zwar nicht teilen, aber das ändert nichts an meinen Gefühlen [Liebe] zu Dir.)
  • Apellieren Sie nicht an das (schlechte) Gewissen - auch das können Kulte besser! ABER: Das Unbehagen, das das Kultmitglied dann beim Gedanken an zu Hause empfindet, entfremdet es der Familie noch mehr.
  • Schaffen Sie zu Hause einen neutralen, aber angenehmen Ort; das rentiert sich, sobald während der Kultmitgliedschaft eine Phase der Unzufriedenheit eintritt.
  • Geben Sie NIE Originaldokumente aus der Hand (wofür auch immer) sondern immer nur Kopien
  • Schicken Sie kein Geld und stellen Sie auch keine grösseren Geldbeträge zur Verfügung - sie kommen dem Kult zugute und nicht Ihrem Angehörigen!
  • Seien Sie sich bewusst, dass mit der Trennung von einem destruktiven Kult die Probleme erst richtig losgehen (Selbstvorwürfe, Selbstzweifel, Unsicherheit, Desorientierung, Frustration, Minderwertigkeitsgefühle, .....- machen Sie Sich bewusst: subjektiv ist der Betroffene vom Angehörigen einer Elite zum "Versager", "Sektenbruder", o.ä. abgestürzt; mag er auch de facto durch seine Lösung vom Kult Mut und Stärke bewiesen haben, so wird dieses Ereignis für "Aussenstehende" doch immer ein Zeichen seiner Labilität sein) Der Betroffene benötigt unbedingt Hilfestellung und Unterstützung!
  • Informieren Sie Sich möglichst umfassend (Bücher, Zeitungen, Vorträge,....) aber schmeissen Sie diese Informationen dem Betroffenen trotzdem nicht dauernd an den Kopf - das verschlechtert nur die momentane Situation, kommt aber nicht an!
  • Machen Sie Sich Notizen: Namen, Adressen, Telefonnummern, die mit der Gruppe in Verbindung stehen könnten; Ereignisse in zeitlicher Reihenfolge festhalten und die Daten notieren. Dieses Material auch einer zentralen Dokumentationsstelle zugänglich machen. - So kann es nicht nur eines Tages Ihnen und Ihrem Angehörigen bei der Bewältigung des Geschehenen helfen oder in einem Rechtsstreit als Beweismaterial dienen, sondern eventuell auch für andere Betroffene hilfreich sein.
  • Suchen Sie Kontakt zu Menschen, die ebenfalls von der Thematik betroffen sind oder waren.
  • Halten Sie trotz allem Ihre eigenen Interessen wach, die Mitgliedschaft eines Familienmitgliedes sollte nicht ständig das Denken beherrschen; leben Sie statt dessen dem Betroffenen vor, dass auch ohne Kult das Leben interessant und wertvoll gestaltet werden kann.
  • Versuchen Sie, "ursprüngliche" Interessen des Betroffenen wachzuhalten (Bücher schenken, auf Vorträge aufmerksam machen, vor allem aber Diskussionen anzetteln) und POSITIV BESTÄTIGEN!
  • Versuchen Sie, auch bei seinen "neuen Interessen" den Horizont weit zu halten (z.B. allgemeine Literatur über Religionen oder auch Psychologie,... je nachdem; Werke von C.G. Jung oder auch Freud; Bücher über Yoga, Chakrenlehre, eventuell Hinduismus oder Taoismus schenken;) und darüber auch Gespräche führen!
  • Vermeiden Sie, dass das Gefühl entsteht, es handle sich um um eine Art "Machtkampf" zwischen Ihnen und dem Betroffenen - so können nur beide "Seiten" verlieren und zwar einander; aber auch, dass der Betroffene den Eindruck hat, es handle sich um einen - Kampf zwischen Ihnen und dem Kult - mit ihm selbst als Streitobjekt; ersparen Sie ihm diese "Zerreissprobe"!
  • Machen Sie klar, dass Sie Ihrem Angehörigen nicht in seine Entscheidung für oder gegen den Kult dreinreden, aber dringen Sie darauf, dass er die materiellen Lebensgrundlagen nicht ausser Acht lässt; dh. vor einem Engagement bei XXX die Ausbildung beenden; den Beruf nicht aufgeben, bevor der Lebensunterhalt und die Pensions- und Krankheitsvorsorge nicht anders gesichert sind,...
  • Zögern Sie nicht, "höhere Stellen" (Staatsanwaltschaft, Anwaltskammer, Ärztekammer, Gesundheitsamt, Jugendamt,....) bzw. Politiker mit dem Problem immer wieder zu konfrontieren!
  • Verzweifeln Sie nicht - die Mitgliedschaft bei und die Lösung von einem destruktiven Kult kann unter Umständen auch die Persönlichkeitsentwicklung fördern.
  • Löchern Sie den Betroffenen nach dem Ausscheiden: nicht mit "peinlichen" Fragen, Sie könnten:
    a) den Betroffenen damit überfordern;
    b) Antworten bekommen, die Sie überfordern;
    c) den Betroffenen neuerlich in eine Isolation treiben; und vor allem Ihren Angehörigen verletzen!
  • Versuchen Sie, HOCHWERTIGE Alternativen aufzuzeigen - etwa Autogenes Training (Oberstufe!) für Anhänger von hinduistisch/meditativ geprägten Gruppen; die Angebote der Amtskirche für Anhänger von pseudochristlichen Vereinigungen; Psychologische Kurse, Psychotherapien, u.ä. für Scientologen und Anhänger anderer Psychokulte;....Aber auf jeden Fall: Selber denken macht gescheit! - das sollte der Betroffene möglichst bald wieder erlernen.
  • Versuchen Sie, Ideen anzubieten, wie das Erlebte verarbeitet werden könnte: Erfahrungsberichte, Gespräche, Tipps und Hinweise für andere u.ä.
  • Werten Sie "positive" Erfahrungen nie ab - die braucht man vor allem am Anfang der Lösungsphase, um vor sich selber mit dem klar zu kommen, was passiert ist!
  • Nützen Sie alte Freundschaften und überhaupt Kontakte mit Gleichaltrigen! Laden Sie "alte Freunde" ein, ...- aber sorgen Sie dafür, dass diese "eingeweiht" sind.
  • Achtung: Besondere Aggressivität und "Unnahbarkeit" kann ein Anzeichen von Unsicherheit gegenüber Kultinhalten oder einzelnen Personen im Kult sein; besonders aufmerksam und behutsam vorgehen!

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