Scientology – eine "religiöse Bekenntnisgemeinschaft?"
Als mich im Jahr 1978 eine Bekannte das erste Mal zu Scientology mitnahm, "warnte" sie mich kurz vor unserem Eintreffen: "Übrigens, schreck Dich nicht, wenn über der Tür "Kirche" steht; das ist nur wegen der Steuer! Mit Religion hat das alles nichts zu tun, sonst wäre ich nicht dort." Diese Aussage stimmte dann sowohl mit der Haltung der Scientologen überein, die ich in der Folge kennen lernte, als auch mit den Selbstdefinitionen, die ich während meiner Lektüre der Schriften des Gründers L. Ron Hubbard lesen und auswendig lernen musste. Scientology wurde mir als eine wissenschaftliche und vor allem höchst rationale Angelegenheit präsentiert. Auch das sogenannte "E-Meter", das zu meiner grossen Erheiterung vor einiger Zeit von einem Scientology-Sprecher "als sakraler Gegenstand" bezeichnet wurde, hatte zu meiner Zeit noch nichts Heiliges an sich. Für meine technisch versierten Freunde war es ein – durchaus verbesserungswürdiges – Messgerät, wie viele andere auch; für mich war es ein Buch mit sieben Siegeln, wie alle technischen Geräte. In "Einführung in die Ethik der Scientology" (Ausgabe der
Übersetzung
1989) findet man in der Rubrik "An den Leser" folgende Erklärung
zum
E-Meter:
Dieses Bild änderte sich noch während meiner Zeit als aktive Scientologin: plötzlich sah man immer wieder Scientologen mit schwarzen "Lätzchen" und weissen Stehkragen, wie sie auch katholische Priester zeitweise benützen. Auf meine erstaunte Frage, was das solle, erfuhr ich, dass in Österreich ein Psychotherapiegesetz in Ausarbeitung sei; da Scientology als zentralen Punkt eine Art Gesprächstherapie, genannt "Auditing" anbietet, bestehe für die Gemeinschaft die Gefahr, in die Illegalität zu rutschen. "Glücklicher Weise", so ein Scientologe, "sind wir ja wegen des amerikanischen Steuerrechts auch eine Kirche. Wenn wir das Auditing als Beichtgespräch darstellen, so kann uns nichts passieren." Mittlerweile ist es für Scientologen offenbar
selbstverständlich
geworden, sich als Anhänger einer "Religion" zu sehen und zu
präsentieren
– was sie allerdings nicht daran hindert, sich gegebenenfalls auch als
praktizierende Katholiken zu bezeichnen, wie es vor einigen Wochen eine
Vertreterin von Scientology in der Sendung "Zur Sache" getan hat.
Für
mich aber bleibt diese Argumentationslinie nach wie vor befremdlich; zu
fest hat sich in mir der Satz eingeprägt:
"Aufforderung zu einem mit Strafe bedrohtem gesetzwidrigen Verhalten"?Im Hubbard-Aufsatz vom 15. August 1960, Departement of Special Affairs findet man eine Anweisung, die aus meiner Sicht eindeutig in obigem Sinn interpretiert werden kann:
Ich weiss nicht, wie die vorgeschlagene Vorgangsweise
juristisch
einzustufen ist, aber die vorgeschlagenen Massnahmen stellen sich
keinesfalls – ebensowenig wie die beiden folgenden häufig
zitierten
Vorschläge für den Umgang mit Feinden – als blosse
Notwehrreaktionen
dar:
Es wird von Scientologen häufig damit argumentiert, diese Zitate seien a) veraltet, b) teilweise für ungültig erklärt und c) "gar nicht so gemeint". Bedenkt man aber, dass diese Stellen keine "Ausreisser" sind,
sondern im Sinnzusammenhang mit Strategien unter dem Motto "Angriff ist
die beste Verteidigung" von den Scientologen rezipiert werden; –
gekoppelt
mit der Überzeugung:
und auch angesichts der Tatsache, dass die Schriften und Aussagen Hubbards für Scientologen ausgesprochen dogmatischen Charakter haben (es wurde mir unter Verweis aus den zentralen Richtlinienbrief "Keeping Scientology working" immer unmöglich gemacht, einzelne Punkte aus den Schriften in Frage zu stellen oder auch nur zu relativieren) oder angesichts der unter 2.2 zitierten Aussagen scheinen mir diese Aufforderungen, die vermutlich noch immer nicht aus den Kursmaterialien gestrichen sind selbst dann bedenklich, wenn sie tatsächlich "veraltet" oder "nicht so gemeint" sein sollten. Schliesslich verpflichten sich lt. Angaben von Scientology
"der
Vorstand und die Mitglieder": "sich an" [...] "Die Ziele, Lehren,
Richtlinien,
Praktiken und das Glaubensbekenntnis wie in den Schriften und
anderen
aufgezeichneten Materialien von L. Ron Hubbard dargelegt" "zu
halten" – Übrigens gilt diese Verpflichtung nicht nur auf
dem Papier: Die
Antworten, die ich auf kritische Fragen (z.B. unter Verweis auf den
Stand
der Wissenschaft der Medizin) erhielt, wurden grundsätzlich mit
den
Worten eingeleitet "Aber der Ron sagt ..." "Schutz der Rechte und Freiheiten anderer"Allein aufgrund der Vorschläge Hubbards, wie mit Kritikern seiner Anschauungen umzugehen sei (siehe oben), bin ich skeptisch, ob der "Schutz der Rechte und Freiheiten anderer in einer von Scientology dominierten Umgebung in jedem Fall gewährleistet ist. Leider sind unter den Menschen, denen Hubbard grundsätzliche Menschen – und Bürgerrechte abspricht, auch sozial Schwache, chronisch Kranke oder einfach Menschen, deren Emotionen für Hubbard "negativ" sind:
*Anmerkung: Die zitierte "Tonskala" soll eine
systematische
Ordnung
verschiedener Bewusstseinszustände (oder Emotionen) darstellen;
unterhalb der zitierten Stufe 2.0 werden z.B. Menschen eingeordnet, die
trauern, sich fürchten oder die einfach Mitleid mit anderen haben.
Dies sind nur einige Beispiele zur Haltung des
Scientology-Gründers
zu Menschen, die in seiner "Welt ohne Kriege,
Geisteskrankheiten
..." keinen Platz haben. Ich habe oft Scientologen in diesem Sinn untereinander
über Kranke, Verzweifelte oder sozial Schwache reden gehört
und
daher muss ich davon ausgehen, dass diese Ansichten von der
überwiegenden
Zahl seiner Anhänger geteilt werden. Anwendung psychotherapeutischer MethodenAls ich im Jahr 1978 zu Scientology kam, wurde mir gegenüber das Auditing, das heute als Teil scientologischer Religionsausübung bezeichnet wird, noch ganz offiziell mit der Psychoanalyse Freuds verglichen; so erinnere ich mich z.B., dass die hohen Preise damit gerechtfertigt wurden, dass es "noch mehr Geld kostet, wenn Du jahrelang zum Psychoanalytiker rennst!"Diese Argumentation schien mir damals auch gar nicht so weit hergeholt, denn, soweit ich das beurteilen kann, finden sich tatsächlich viele Elemente der Psychoanalyse in den Auditingverfahren; d.h., dass eine anerkannt wirksame Therapieform angewendet wird – allerdings, so wie ich die Sache kennen lernte, stark vereinfacht (dafür mit verschiedenen Ideen Hubbards "angereichert"), nach starren Regeln und (wie ich an Hand meiner eigenen Ausbildung zum Auditor erfahren musste) von Menschen, denen in ihrer "Schulung" durch Scientology praktisch weder Kenntnisse über psychische Störungen noch über körperliche Krankheiten vermittelt werden. Jedenfalls bekomme ich heute eine Gänsehaut, wenn ich daran denke, was ich in meiner Zeit als Auditor alles anrichten hätte können und vielleicht auch angerichtet habe! Da in den Schriften Hubbards auch theoretisch immer wieder der
Anspruch
auf therapeutische Wirksamkeit gestellt wird, scheint mir auch unter
diesem
Aspekt für Scientology die Zuerkennung der
Rechtspersönlichkeit
als "religiöse Bekenntnisgemeinschaft" nicht mit dem § 5 des
entsprechenden Gesetzes vereinbar. Verletzung der psychischen IntegritätAm Anfang meiner – und nicht nur meiner – Beschäftigung mit Scientology stand der Wunsch, anderen Menschen zu helfen und an der Verwirklichung der Utopie einer "Welt ohne Kriege und Geisteskrankheiten" mitzuwirken; ich begegnete den Menschen in dieser Organisation (heute muss ich sagen "leider") arglos und voller Vertrauen. Bald aber musste ich feststellen, dass ich mein Engagement auf Dauer nicht auf das Erlernen einer "Therapie" beschränken konnte: nach und nach wurde mir klar gemacht, dass Scientology praktisch alle Lebensbereiche erfasst: was ich essen und trinken musste oder durfte, wie lange ich zu schlafen und was ich zu lesen hatte, welche "Freizeitgestaltungen" zulässig und welche medizinischen Methoden gerade noch für mich erlaubt waren, ... – all das sollte plötzlich nicht mehr meiner Entscheidung unterliegen. "Ich weiss nicht, ob Du einen Ismakogiekurs überhaupt besuchen darfst; frag lieber nach!" riet mir z.B. ein befreundeter Scientologe, als ich ihm von einem Volkshochschulkus erzählte. (Übrigens: die Nachfrage ergab, ich dürfe nicht!!!)Und bald erfuhr ich auch, wie es weitergeht, wenn man sich mit Teilen der Lehre nicht voll und ganz identifizieren kann: Zunächst muss man auf eigene Kosten "Nachschulungen" machen (Motto: wenn Du irgendwann anderer Meinung bist als L.Ron Hubbard, so hast Du irgend etwas nicht verstanden und musst so lange "studieren", bis das Missverständnis aufgeklärt ist. vgl.: (HCOPL 7.2.65) Hilft das nicht,. so muss man – wiederum auf eigene Kosten
eine
"Therapie" absolvieren (Motto: wenn jemand mit Scientology nicht
einverstanden
ist und kein Missverständnis vorliegt, so muss eine Fehlfunktion
des Verstandes die Ursache sein. (vgl.:HCOPl 28. 11 70 bzw. HCOPL
4.4.72
u.a.) In krassen Fällen der Abweichung von der Lehrmeinung muss
sich das betreffende Mitglied sogar z.T. recht harten Strafmassnahmen
unterwerfen. (vgl. HCOPL 18.6.68 u.a.) – Die Alternative zu diesen
Massnahmen
wäre der Ausstieg aus Scientology; aber für viele
Scientologen
kommt dieser Weg zu dem Zeitpunkt nicht mehr in Frage. Ich weiss nicht,
ob das ein Indiz für eine Verletzung der persönlichen
Integrität
im Sinne des § 5 ist; zumindest erscheinen mir derartige
Reaktionen
bemerkenswert. Genauso wie die Tatsache, dass sich die meisten
Scientologen
schon nach relativ kurzer Zeit ohne nennenswerten Widerstand dem
extremen
Leistungsdruck unterwerfen, der innerhalb von Scientology herrscht. Anmerkungen zur "positiven Grundeinstellung zu Gesellschaft und Staat"Eine der ersten gröberen Auseinandersetzungen, die ich wegen meiner von den Schriften Hubbards abweichenden Meinung mit dem Kursleiter hatte, lag in meiner unbeugsamen Überzeugung, die Demokratie sei die beste aller verwirklichbaren Staatsformen. Als ich daher das erste Mal "Keeping "Scientology working" las, stiess mir (unter anderem) folgende Passage sauer auf:
Mein Befremden stiess auf keinerlei Verständnis; aber anstatt zu überlegen, dass Textpassagen wie diese ebenso wenig "zufällig" sein konnten, wie das absolute Unverständnis des Kursleiters, dachte ich nicht weiter darüber nach, sondern legte die Angelegenheit unter "typisch Amerika" bzw. "typisch ungebildeter Kursleiter" ab; ich hörte auf zu diskutieren und widmete mich dem nächsten Richtlinienbrief. Hätte ich damals Gelegenheit gehabt, diese Stelle im
Zusammenhang
mit den in der Folge beispielhaft zitierten Aussagen zur Demokratie zu
sehen, ich hätte Scientology wohl etliche Monate früher
verlassen:
Für mich, die ich Scientology mittelbar und unmittelbar kennen gelernt habe, bleibt nur, zu hoffen, dass Ihnen mein Beitrag eine sachliche Bewertung erleichtert. |